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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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besetzt worden, nachdem sich die Stadt zu spät für die Wahrung der Neutralität entschieden hatte. Seitdem wetteiferten die Frankfurter Demokraten darum, wer die Preußen am meisten hasste – ein Gefühl, das Albert zwar verstand und insgeheim teilte, aber nicht offen zeigte.
    Er wusste: Fortan ging nichts mehr ohne die Preußen, und es wäre ein Fehler, sie sich zum Feind zu machen. Zwar ahnte er, dass mancher Freund ihn hinter vorgehaltener Hand gesinnungslos nannte, aber damit konnte er leben. Er wollte nur endlich wieder, dass alles seinen gewohnten Gang nahm und nicht jeden Tag mit neuem Aufruhr zu rechnen war. Er wollte seine Ruhe haben, hier an seinem Schreibtisch sitzen und dann und wann über die Platte streichen, am besten niemanden sehen, Geschäftsbücher lesen, Zahlenreihen addieren, manch taktische Überlegung anstellen, doch sämtlichen Gefühlen entgehen.
    »Was ist passiert? Gibt es neue Unruhen in der Stadt?«
    Thomas schüttelte den Kopf. »Davon habe ich nichts gehört. Aber soeben ist ein Brief aus Südamerika eingetroffen.«
    Albert wurde hellhörig – seit einigen Monaten weilte Valeria nun schon dort. Ohne sein Wissen und Einverständnis hatte sie Carl-Theodor begleitet, was ihn zuerst etwas erzürnt, später jedoch eher amüsiert hatte. Sollte sein menschenfreundlicher Bruder eben mit ihrem Dickkopf zurechtkommen. Ihm war es letztlich egal, ob sie sich nun im Pensionat aufhielt oder in Montevideo.
    »Meine Tochter …«, setzte er an.
    Als er den Brief entgegennahm, erwachte Unbehagen – und zugleich ein schlechtes Gewissen, denn die Sorgen, die ihn überkamen, galten weniger seiner Tochter, diesem lebendigen Mädchen, das ihm immer fremd geblieben war, sondern vielmehr sich selbst. Hoffentlich war nichts passiert, was ihn dazu zwang, den Schreibtisch zu verlassen.
     
    Rosa war in ihrer täglichen Lektüre der Frankfurter Zeitung vertieft. Ein neues Theaterstück wurde verrissen, eine Ausstellung angekündigt, und natürlich war die preußische Besatzung das allumfassende Thema, gleichwohl niemand wagte, diese so zu bezeichnen.
    Es ließ sie wie immer kalt. Hier im Taunus spürte man wenig von der Politik – und selbst wenn sie Nachteile durch die veränderten Machtverhältnisse erlitten hätte: Deutschland war niemals ihre Heimat gewesen.
    Obwohl sie die aktuelle Lage darum ohne jedwedes Gefühl betrachtete, wollte sie dennoch darüber informiert sein, um sich nie wieder dem Spott auszusetzen, sie wäre eine Frau ohne Bildung und Verstand. Einst hatte sie aus Trotz gegen Antonie und Albert beweisen wollen, dass sie nicht dumm war; mittlerweile war Antonie zwar tot, und mit Albert wechselte sie kaum je ein Wort, aber sie hatte sich den Ehrgeiz behalten, mehr zu sein als ein oberflächliches, naives Mädchen aus einem fernen Land. In den letzten Jahren hatte sie sich gründlich gebildet, engagierte sich in der Wohlfahrt – so unterstützte sie eine Schule für Halbwaisen –, und bei den wenigen Empfängen erwies sie sich als aufmerksame Gastgeberin, über die niemand zu lästern wagte – im Gegenteil: Die Gäste lobten ihre stilvolle Kleidung, die edlen Speisen und die dezente Beleuchtung. Geschickt verbergen, dass sie dennoch jedes Mal froh waren, wieder zu gehen, konnten jedoch nur die wenigsten. Vielleicht fühlten sie, dass alle Eleganz und der zur Schau gestellte Reichtum die Kälte nicht vertreiben konnten, die ihren Haushalt beherrschte – und die Valeria in die Flucht geschlagen hatte.
    Wenn Rosa an ihre einzige Tochter dachte, fühlte sie immer leises Bedauern, ein nagendes Schuldgefühl – und Erleichterung. Ob sie im Pensionat war oder nun mit Carl-Theodor in Montevideo – Hauptsache, sie war fort, und sie musste sich nicht ihrem ebenso verstörten wie trotzigen Blick stellen und sich fragen, warum sie eine so schlechte Mutter war. Diese Erleichterung vergrößerte ihre Schuldgefühle zwar, aber sie zu leugnen, wäre ihr als Heuchelei erschienen. Seit Fabiens Tod – dies war nun mal die traurige Wahrheit – klaffte ein dunkler Graben zwischen ihr und der Welt, in dessen Schlamm alles versickerte: ihre Lebendigkeit, ihre Sehnsüchte, ihre Fröhlichkeit und auch ihre Liebe zu Valeria. Nur ein winziges Fleckchen blieb ihr, wo sie frei atmen konnte, wo sie sich mittlerweile gut eingerichtet hatte und wo sich aus zwei Regeln Kraft ziehen ließ: Zum einen, sich nichts vorzumachen und Illusionen zu verfallen. Zum anderen, am festen Rhythmus der Tage

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