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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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festzuhalten. Ja, früher hätte sie sich zu Tode gelangweilt, aber heute schätzte sie die Routine, zu der nicht zuletzt die tägliche Lektüre der Zeitung gehörte.
    Für gewöhnlich wagte es niemand, sie dabei zu stören, wusste man doch, wie ungehalten sie auf jede unangekündigte Veränderung reagierte, doch heute wurden plötzlich die Flügeltüren zur Bibliothek aufgestoßen.
    Rosa zuckte zusammen und ließ die Zeitung sinken. Befremdlich war nicht nur, dass überhaupt jemand den Raum betrat, sondern dass es ausgerechnet Albert war. Vor anderen spielten sie formvollendet das langjährige, einander zugeneigte Ehepaar, doch wenn sie unbeobachtet waren, gingen sie sich so gut wie möglich aus dem Weg.
    Sie wollte ihn mit der üblichen kalten Stimme zur Rede stellen, aber er ergriff vor ihr das Wort, berichtete sehr aufgeregt und wirr von Valeria, vom Krieg in Uruguay und von einem geheimen Waffendepot. Sie musterte ihn genauer, und erst jetzt sah sie, dass sein Gesicht von roten Flecken übersät war.
    Entsetzen überkam sie, aber noch schüttelte sie es ab. »Ich verstehe kein Wort!«, erklärte sie abweisend.
    »Ich doch auch nicht!«, erwiderte er. »Aber hier, lies selbst! Ein Brief von Carl-Theodor. Valeria ist offenbar in Gefahr … in großer Gefahr.«
    Rosa stand auf. Seit Jahren hatte sie sich nicht mehr schnell bewegt, war nur steif und hoheitsvoll geschritten. Jetzt stürzte sie auf ihn zu und riss ihm das Blatt Papier aus der Hand.
    Carl-Theodor hatte sich tatsächlich nur sehr vage ausgedrückt. Demnach war Valeria verschwunden, was möglicherweise mit paraguayischen Soldaten zu tun hatte, die ein Waffenarsenal ausgeraubt hatten. Die Polizei suche mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln nach ihr, und gewiss, so ihrer aller Hoffnung, würde sich bald alles in Wohlgefallen auflösen. Er würde sich hier in der Banda Oriental darum kümmern, dass alles Notwendige getan wurde.
    Wieder stieg Entsetzen in ihr hoch, die Ahnung überdies, dass alles schlimmer war, als Carl-Theodor zugab, doch abermals wagte sie es nicht, ihrem Gefühl nachzugeben – viel zu laut erschien es ihr, viel zu heftig. Wenn sie sich ihm stellte, würden sich womöglich auch all die anderen ihre Bahn brechen, die sie in den Tiefen ihrer Seele eingekerkert hatte.
    Albert schien nicht minder überfordert, und eine Weile starrten sie sich an wie Raubtiere auf dem Sprung: Jeder schien zu warten, dass der andere zuerst die Fassung verlor, doch Augenblick um Augenblick verging in Schweigen. Und nicht nur Alberts Zurückhaltung hielt Rosa davon ab, sofort zu verkünden, nach Montevideo zu reisen, sondern auch die beängstigende Vorstellung, den behaglichen Alltag aufzugeben. Hatte Carl-Theodor nicht geschrieben, er würde sich um alles kümmern? Und Claire war doch auch dort – Claire, die Valeria so nahestand wie niemand sonst in der Familie!
    Eisern verkniff sie sich jedes Wort, bis schließlich aus Albert hervorbrach: »Wir sollten das nächste Schiff nach Montevideo nehmen.«
    Dass er es als Erster vorschlug, beschämte sie und machte sie wütend. Sie hatte sich immer ehrlich eingestanden, dass sie keine sonderlich gute Mutter gewesen war, und gerade darum wollte sie ihm nicht durchgehen lassen, dass er sich plötzlich als guter Vater gebärdete. »Nun tu nicht so, als wärst du bereit, die Geschäfte über Wochen ruhenzulassen! Wann war dir deine Familie jemals wichtiger als die Bank?«
    Ihre Stimme zischte, als eine uralte Kränkung hervorbrach – die Enttäuschung, weil er sie so oft vernachlässigt hatte, die Einsamkeit, die sie an seiner Seite hatte durchleben müssen, die Bitterkeit, weil sie sich nicht mehr liebten, sondern einander schleichend vergifteten.
    Ihre Heftigkeit erschreckte sie – und ihn auch.
    »Unterstell mir nicht, dass ich unsere Tochter nicht liebe!« Sein Gesicht rötete sich.
    »Wenn du es tust, hast du es bislang gut verborgen«, gab sie eisig zurück. »Warum wohl ist sie lieber mit Carl-Theodor verreist, als nach Hause zu kommen?«
    »Nun, auch auf deine Gesellschaft hatte sie keine große Lust. Auch dich hat sie nicht in ihre Pläne eingeweiht, nach Uruguay zu reisen, das doch deine Heimat ist, nicht meine. Und ausgerechnet du wirfst mir Kälte vor? Obwohl dein Herz selbst unter Eis erstarrt ist?«
    Von besagter Kälte fühlte sie nichts. Heiß stieg ihr das Blut ins Gesicht. All die Jahre hatte sie den Drang unterdrückt, nun hätte sie am liebsten um sich geschlagen, sein Gesicht zerkratzt

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