Die Rosen von Montevideo
denken, wenn Montevideos Name fällt?«
Kokett legte sie ihren Kopf schief und neigte sich etwas vor. Sein Gesicht war mittlerweile dunkelrot, und seine Hand zitterte. Ob ihn das Verlangen packte, über die ihre zu streicheln? Sie auf jeden Fall war kurz davor, wagte es aber dann doch nicht. Stattdessen sprang sie auf und winkte ihm, mit ihr zu kommen. »Wir haben nun lange genug stillgesessen! Es wird Zeit, dass wir die Stadtführung fortsetzen!«
Als er ihr nicht gleich folgte, packte sie ihn an der Hand und zog ihn mit sich. Ein paar Schritte lang ließ er sie gewähren, dann machte er sich los, und seine Zurückhaltung fachte ihre Verwegenheit erst recht an. Erneut wollte sie seine Hand nehmen, doch mitten in der Bewegung erstarrte sie. Das Lachen erstarb in der Kehle.
Julio kam die Straße entlang und hatte sie im gleichen Moment gesehen, da ihr Blick auf ihn fiel. Erst starrte er sie nur ungläubig an, dann schimpfte er empört. »Gütiger Himmel, Rosa! Was machst du hier?«
Rosa war so überrascht, dass ihr nichts einfiel, um ihren Bruder gnädig zu stimmen.
»Du wurdest doch in deinem Zimmer eingesperrt – wie kommst du nur hierher?«, fragte Julio streng.
Rosa starrte ihn weiterhin wortlos an, doch die Antwort dämmerte ihm langsam selbst. »Du bist einfach aus dem Haus geflohen«, stellte er fest und packte sie am Arm. »Wie kannst du so etwas wagen?«
Sein Griff war nicht schmerzhaft, dennoch schrie sie auf. Albert hatte den fremden Mann bis jetzt nur verwirrt gemustert, nun fuhr er ihn an: »Warum sind Sie bloß so grob?«
Julio beäugte ihn kühl. »Es steht mir zu, ich bin ihr Bruder. Ich frage mich allerdings, wer Sie sind und woher Sie sich das Recht nehmen, eine unverheiratete Frau zu belästigen.«
»Er hat mich nicht belästigt!«, rief Rosa dazwischen. »Es ist nicht seine Schuld, nur meine! Und ich habe …«
»Gut, dass du das einsiehst«, unterbrach Julio sie barsch. »Und jetzt kommst du mit.«
Ohne Albert die Gelegenheit zu geben, sich zu rechtfertigen, zerrte er sie einfach fort. Es blieb ihr nicht einmal Zeit, sich von Albert zu verabschieden. Sie warf ihm lediglich einen letzten hilfesuchenden Blick zu, während er wie angewurzelt stehen blieb. Sie gegen Argentinier zu beschützen, das war eine Sache, aber sie erkannte, dass er viel zu gut erzogen war, um einzugreifen, wenn der eigene Bruder Gehorsam verlangte.
Er war längst aus ihrem Blickfeld verschwunden, als Julio endlich stehen blieb, seinen Griff etwas lockerte und sie kopfschüttelnd ansah. »Was machst du nur für Sachen?«, fragte er tadelnd.
Die Wut, die sie eben noch auf ihn empfunden hatte, wich der Verzweiflung. »Ach Julio, ich wollte doch eigentlich zu dir. Ich dachte, du könntest mir helfen. Ich … ich will Ricardo del Monte nicht heiraten!«
»Frauen bestimmen nun mal nicht, wen sie heiraten werden. Das ist Sache der Väter.« Er klang herrischer, als er dreinblickte. »Wer war eigentlich dieser Mann – Engländer oder Deutscher?«
Er wirkte ehrlich neugierig, und Rosa, die eben noch überlegt hatte, wie sie ihn auf ihre Seite ziehen konnte, war erstaunt. »Warum interessiert dich das denn?«
Julio schwieg vielsagend. Normalerweise nahm er nur an Dingen Anteil, die mit Geschäften zu tun hatten. Allerdings war Albert ja auch ein Geschäftsmann so wie alle Europäer, die hierherkamen.
»Er ist Deutscher«, sagte sie schnell. »Albert Gothmann ist sein Name.«
»Hm, eigentlich schade, den Engländern gehört die Zukunft in der Region. Es gibt keinen Wirtschaftszweig, an dem sie nicht beteiligt sind, ob es nun um Felle aus dem Río de la Plata geht, Guano und Nitrat aus Peru, Kupfer aus Chile, Zucker aus Kuba, Kaffee aus Brasilien …«
Er hörte gar nicht mehr zu reden auf, und seine Stimme nahm einen ebenso schwärmerischen wie neidischen Klang an.
»Nun ja«, schloss er, »es gibt auch den einen oder anderen deutschen Händler hier. Hat er erzählt, was er hier macht?«
Rosa musste an das Notizbuch denken, zuckte aber die Schultern.
»In welchem Gewerbe ist er denn tätig? Die Engländer investieren seit kurzem in den Bau der Eisenbahn, die Telegraphenlinien und die Dampfschiffe für Flüsse. Oder ist er vielleicht im Baumwollhandel tätig? Nein, nein«, gab er sich selbst zur Antwort, »das ja wohl nicht. Niemand bietet Wolle so billig an wie die Engländer. Wahrscheinlich setzt er auf Nischenprodukte, wie es die Hanseaten tun: Sie verkaufen Leinenstoffe und Glaswaren aus
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