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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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sie schlicht, nachdem er geendet hatte.
    Erst jetzt merkte er, dass sie immer näher an ihn herangerutscht war, und auch, dass die Gaststube längst leer und er mit ihr allein war.
    »Ich sollte nun wirklich gehen.«
    »Nein, Sie bleiben«, widersprach sie resolut. »Ich glaube nämlich nicht, dass Ihr Kummer nur von Valeria rührt.«
    »Aber …«
    »Sicher waren Sie schon vor dem Verschwinden Ihrer Nichte kein glücklicher Mann.«
    Er fühlte sich ertappt und rang nach Worten, es abzustreiten, doch er fand keine. »Ich müsste glücklich sein!«, rief er und war bestürzt, weil er so verzweifelt klang. »Ich meine, ich habe eine wunderbare Tochter, ich durfte viele Reisen machen, was ich immer liebte, ich besitze genügend Geld … Na ja, ich bin Witwer, doch der Tod meiner Frau war kein unerträglicher Schicksalsschlag. Wir standen uns nie sonderlich nahe, vor allem nicht in den letzten Jahren ihres Lebens. Als sie starb, habe ich um sie getrauert – doch ich habe es verwunden.«
    »Aber etwas anderes anscheinend nicht.«
    Sie betrachtete ihn lange, und ihn überkam tiefes Erstaunen, dass ausgerechnet diese Frau auf den Grund seiner Seele sah – und dass es ihm so leichtfiel, ihr diesen Blick zu gewähren.
    »Ich werde das Gefühl nicht los, dass mein Leben einer Tasse aus Porzellan gleicht«, bekannte er heiser. »Schön anzusehen, mit rosa Blümchen bemalt, aber voller Risse. Stets befürchte ich, sie könnte zerbrechen und danach niemals wieder gekittet werden. Und dass sie zu kostbar ist, um sie ordentlich zu füllen. Man nippt nur daraus, man trinkt nicht gierig. Und deswegen wird mein Durst nie gelöscht und bekomme ich nie genug … nie genug Wärme … nie genug Liebe. Ich gebe ja gar nicht den anderen die Schuld – vielleicht liegt es auch an mir. Ich bin doch selbst so unbeholfen, gerade jetzt. Niemand steht mir nahe wie meine Tochter, aber trösten kann ich sie dennoch nicht! Und es geht ja nicht nur um Trost … Wissen Sie, sie vergeht in schrecklichen Sorgen, aber sie vertraut sich mir nicht an. Valeria würde sie alles sagen, das war immer schon so, doch mich meint sie ständig schonen zu müssen. Solange Antonie lebte, konnte ich ihr die Schuld für die kühle Atmosphäre in unserem Haus geben. Aber manchmal denke ich mir, ich bin womöglich so kalt und hart wie sie …«
    Wieder hatte Susanna aufmerksam gelauscht und ihn kein einziges Mal unterbrochen.
    »Wenn Sie kalt und hart wären, würden Sie nicht so offen mit mir reden«, sagte sie ruhig. Sie strich über seine Hand, nahm sie dann und drückte sie. Es erschreckte ihn, und kurz wollte er sie ihr entziehen, aber dann unterließ er es. Es war gar zu tröstlich, hier mit ihr zu sitzen.
    »Ich verstehe nicht, warum Albert und Rosa – Valerias Eltern – nicht längst angereist sind«, klagte er. »Ich selbst habe die Lage zwar beschönigt, aber dennoch: Sie ist doch ihr einziges Kind! Warum treibt sie die Sorge nicht hierher! Ich bin so wütend auf die beiden, obwohl ich mich selbst nicht aufraffen kann, das Nötige zu tun.«
    »Das da wäre?«
    »Nun, heimzureisen und ihnen die ganze Wahrheit zu sagen. Dass es seit Monaten kein Lebenszeichen von Valeria gibt – und darum kaum Hoffnung, dass sie jemals wieder heil nach Hause zurückkehrt.«
    Er seufzte. Nachdem nun alles gesagt war, saßen sie eine Weile schweigend beisammen. Sie hielt seine Hand, er trank sein Bier. Dieser Geschmack, herb, bitter, aber zugleich stärkend, würde ihn künftig wohl immer an Susanna denken lassen. Sie hatte nichts Süßliches an sich wie der Wein und auch nicht dessen benebelnde Wirkung. Selten hatte er so klar auf sein Leben geblickt, selten war er so bei sich gewesen, anstatt sich aus weiter Ferne zu beobachten wie einen Fremden.
    »Es tut mir leid«, murmelte er nach einer Weile. »Ich rede die ganze Zeit nur von mir und frage nie nach Ihnen.«
    Sie zuckte die Schultern. »So viel gibt es über mich nicht zu sagen.«
    »Nun, Sie führen erfolgreich dieses Wirtshaus; Sie haben sich im Ausland eine Existenz aufgebaut. Das ist eine ganze Menge.«
    Sie nickte nachdenklich. »Das stimmt. Und das macht mich stolz, wenn auch nicht glücklich.«
    Er studierte ihr Gesicht und fühlte kurz die eigenen Gedanken gespiegelt. »Und was hält Sie davon ab, glücklich zu sein?«
    Zum ersten Mal senkte sie ihren Blick, während sie leise ihre Lebensgeschichte erzählte. Als sie mit ihrem Mann hierhergekommen war, war sie noch voller Hoffnung, Lebenshunger und

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