Die Rosen von Montevideo
mittlerweile wohl erwachte, Luis, der …
Espe schüttete das Wasser auf Valentíns Gesicht. Prompt stöhnte er.
»Nicht einschlafen! Du musst mithelfen«, rief Espe so streng, als wäre er ein störrischer Junge, der sich absichtlich ihren Befehlen verweigerte.
Sie zerrte ihn hoch, und Claire nahm widerwillig den anderen Arm. Auch Valeria half mit – natürlich mit der Folge, dass sie bald ächzend nach ihrem Leib griff.
»Du bist uns keine Hilfe, wenn du hier in der Gosse dein Kind gebärst«, erklärte Espe streng. »Wir schaffen es auch ohne dich.«
Daran hatte Claire ihre Zweifel, doch zu ihrer Überraschung war Valentín tatsächlich zu Bewusstsein gekommen und setzte mit ihrer Hilfe Schritt vor Schritt. Sie kamen nur mühsam, aber stetig voran – und irgendwann hatten sie Pilars Wirtshaus erreicht.
Als Valentín dort erschöpft niedersank, hätte es Claire ihm am liebsten gleichgetan. Sie war von Schweiß überströmt, und ihre Brust schmerzte, weil sie so gepresst geatmet hatte, aber sie konnte nicht bleiben – sie musste zurück zu Luis!
»Helft mir! Wir müssen Valentín entkleiden!«
»Bist du wahnsinnig?«, protestierte Valeria. »Es war schwer genug, ihn hierherzuschaffen …«
»Dann wenigstens die Stiefel und die Hose!«
Schlimm genug, dass sie Luis hintergangen hatte – sie konnte ihn unmöglich der Schmach aussetzen, nur in Unterhosen vor seinen Kollegen zu stehen.
Während Valeria keine Anstalten machte, ihr zu helfen, schien Espe zu begreifen, warum es ihr so wichtig war. Mit vereinten Kräften zerrten sie erst an den Stiefeln, dann an der Hose, und alsbald hatten sie sie ihm ausgezogen.
Wortlos wandte sich Claire ab. Espe nickte ihr aufmunternd zu, Valeria dagegen war nur mit Valentín beschäftigt. Claire lief die Straße zurück, auf der sie gekommen waren, und obwohl von der Last seines Körpers befreit, fühlte sie sich trotzdem wie gelähmt.
Sie wusste plötzlich, sie würde nicht rechtzeitig kommen, und sie wusste – auch wenn sie dabei gewesen wäre, als Luis erwacht war, sie ihm seine Uniform zurückgeben und sie ihm alles hätte erklären können, würde er ihr nicht verzeihen.
27. Kapitel
D rei Tage lang kämpfte Valentín mit dem Tod. Mehrmals stieg sein Fieber so hoch, dass Valeria das Gefühl hatte, sich ihre Hand an seinem glühenden Gesicht zu verbrennen. Er wälzte sich unruhig hin und her und schien von Alpträumen gepeinigt, wie die wirren Worte und die spitzen Schreie bekundeten. Gegen diese konnte sie nichts tun und gegen das Fieber auch nicht mehr, als ihm kühlende, in Essigwasser getränkte Tücher aufzulegen. Espe bereitete einen übelriechenden Sud aus irgendeinem Kraut zu, den sie ihm mühsam Tropfen für Tropfen einflößte. Er spie fast alles davon wieder aus, und das wenige, das er behielt, führte zu keiner Besserung.
»Was soll ich nur tun, Espe?«, klagte Valeria verzweifelt.
Espe blickte sie ruhig an. »Manchmal kann man nichts anderes tun als warten.«
Am vierten Tag sank Valentín in einen totenähnlichen Schlaf. Valeria saß bei ihm, ergriff seine Hand, nickte ein und erwachte wieder. Jedes Mal hatte sie Angst, dass er gestorben wäre, ohne dass sie es gemerkt hatte, doch seine Brust hob und senkte sich. Von der Gaststube vernahm sie Gemurmel, manchmal sogar Geschrei. Einmal kam es zwischen einem Ziegelbrenner und einem Wagenbauer zu einer Meinungsverschiedenheit, wer das beste Bier in Montevideo braute. Der eine – ein deutscher Auswanderer – meinte, nur in der Cervecería Alemana wäre eins zu kriegen, das man trinken könnte. Der andere, der gleiche Wurzeln hatte, aber durch und durch Spanier geworden war, hielt dagegen, dass man hierzulande nicht noch mehr Deutsche brauche und schon gar nicht, um etwas Anständiges zu saufen. Am Ende schleuderten sie sich ihre Krüge an den Kopf und prügelten sich auf dem schmutzigen Lehmboden.
Valeria hatte das Gefühl, die Welt sei verrückt geworden. Valentín kämpfte um sein Leben, andernorts sein Volk gegen eine Übermacht aus Feinden – und hier stritt man sich ums Bier. Nach der Prügelei wurde selbiges eifrig getrunken, und auf das Geschrei folgte Schnarchen.
Wurde es in der Gaststube endlich leise, konnte man die Händler vom nahe liegenden Markt rufen hören, die schon frühmorgens ihre Ware anpriesen. Keiner von ihnen begnügte sich damit, irgendetwas nur als gut zu benennen. Alles musste das Beste sein. Die besten Tomaten aus Baradero, die besten Pfirsiche aus Santiago del
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