Die Rosen von Montevideo
sie. »Aber für mich bist du mein Mann und für unser Kind der Vater.«
Der Gedanke schien kurz sein Gemüt zu erhellen. Erst betrachtete er nur ehrfürchtig ihren Körper, dann strich er zärtlich darüber. »Wann ist es so weit?«, fragte er.
»Ich bin mir nicht sicher, in zwei Monaten, vielleicht schon in einem. Und bis dahin sollten wir die Entscheidung darüber aufschieben, wie unsere Zukunft auszusehen hat.«
Er schien ihr widersprechen zu wollen, doch beherzt nahm sie auch seine zweite Hand, um sie zu ihrem Leib zu ziehen, und als er das Strampeln des Kindes fühlte, sah er weniger elend aus und verkniff sich jedes weitere Wort.
Bis jetzt hatte sich Valeria nur wenig Gedanken um die bevorstehende Geburt gemacht, aber Claire drängte sie eines Tages, mitzukommen, damit eine Hebamme sie untersuchen könnte.
Valeria zögerte, denn obwohl seine Genesung nun täglich Fortschritte machte, wollte sie Valentín nicht allein lassen. Doch der erklärte bestimmt: »Du hast nun lange genug an meinem Bett gehockt, um mich zu pflegen. Denk endlich mal an dich und unser Kind, alles andere ist nicht wichtig.«
Sie küsste ihn flüchtig auf den Mund, ehe sie Claire folgte.
Obwohl ihr Zimmer bei Pilar ein finsteres, stinkendes Loch war, sehnte sie sich dorthin zurück, kaum dass sie die Straße betrat. Die Enge und der Lärm setzten ihr zu. Sie fühlte sich schwer und behäbig, ihr Rücken schmerzte, die Beine waren geschwollen. Selten hatte sie sich in ihrem eigenen Körper so unwohl gefühlt.
Vor Claire zuzugeben, wie erbärmlich ihr zumute war und wie sehr sie sich nach den Tagen sehnte, da sie die Stadt leichtfüßig und neugierig erforscht hatte, anstatt bei jeder Ecke schwitzend und keuchend stehen zu bleiben, wollte sie dennoch nicht, zumal diese wie so oft in den letzten Wochen in Gedanken versunken war.
»Hast du … hast du mit Luis reden können?«, fragte Valeria und schalt sich selbst, sich den Nöten der Cousine gegenüber bislang so blind erwiesen zu haben.
Claire starrte stur aufs Straßenpflaster. »Das ist nicht möglich. Er will mich nicht sehen.«
»Aber …«
»Nichts aber«, fiel Claire ihr hart ins Wort. »Ich habe mich entschieden, dir zu helfen, und jetzt muss ich mit den Folgen leben. Denk daran, was auch Valentín dir sagte – das Wichtigste ist jetzt dein Wohl und das deines Kindes.«
Valeria überlegte, was sie Tröstliches erwidern konnte, aber ehe ihr etwas einfiel, erreichten sie bereits das Haus, in dem die Hebamme lebte.
Sie war eine große Frau, breitschultrig wie ein Mann und mit den Händen eines Fleischers, aber sie verströmte das Selbstbewusstsein von einer, die ihren Beruf lange Jahre ausgeübt hatte und die nichts mehr überraschen konnte.
»Ich habe schon Hunderten Kindern auf die Welt geholfen, und ich kenne alle Arten von Weibern. Du scheinst mir eine zu sein, die einen starken Willen hat, wenig schamhaft ist, dafür sehr stur – und das sind alles Eigenschaften, die bei einer Geburt nützlich sind. Wahrscheinlich wirst du dein Kind recht leicht auf die Welt bringen.«
Valeria war erleichtert, doch als die Hebamme ihr über den Leib tastete, runzelte sie plötzlich die Stirn.
Auch Claire war das nicht entgangen. »Ist mit dem Kind etwas nicht in Ordnung?«, fragte sie besorgt.
»Doch, doch«, meinte die Hebamme, »aber so, wie es aussieht, ist es nicht nur ein Kind, sondern derer zwei.«
Valeria erbleichte. »Zwillinge?«
»Großer Gott!«, stieß Claire aus.
Sie dachte wohl das Gleiche, was auch Valeria durch den Kopf ging: Ihre Lage war schon schwer genug mit einem Kind – wie sollten Valentín und sie sich mit zwei durchschlagen?
Die Hebamme jedoch dachte, ihre Sorgen würden der nahen Geburt gelten.
»Keine Angst«, murmelte sie, »wo eins durchgeht, schafft es auch ein zweites. Trotzdem musst du dich schonen. Bestenfalls bleibt dir noch ein Monat bis zur Geburt, aber wenn du dich aufregst, kommen die Kinder schon früher – und noch sind sie sehr klein.«
Auf dem Heimweg hatte Valeria keinen Kopf mehr für Claires geheime Nöte. Sie war nun in Gedanken versunken, und mit jedem Schritt schien die Last, die sie mit sich trug, schwerer zu wiegen.
Claire bedrängte sie nicht, ihre Sorgen auszusprechen. Erst als sie Pilars Herberge erreicht hatten, ergriff sie das Wort. »Überleg es dir doch noch einmal, ich meine, deine Eltern um Hilfe zu bitten. Glaub mir, sie sind so voller Sorge, und es fällt mir schwer, ihnen zu verschweigen, wo du
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