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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Gesicht. Nicht nur dass es schmutzig und voller Schrammen war – es glühte noch heißer als zuvor.
    »Valentín …«
    Claire rang mit sich. Luis würde gleich erwachen, und sie wollte doch bei ihm sein, um sich ihm zu erklären! Und vor allem wollte sie ihm die Uniform zurückbringen! Doch sie konnte Valentín nicht einfach liegen und ihn sterben lassen – und ihn schon gar nicht der Uniform berauben. Hilfesuchend blickte sie sich um, aber weit und breit war nichts von Espe zu sehen, die ihr Hilfe zugesichert hatte. Stattdessen kehrte die Prozession zurück – von Priestern in Purpurroben angeführt, gefolgt von Herren im Ballstaat mit hellen Glacéhandschuhen und Frauen, die in neuester Mode gekleidet waren: Sie trugen Kleider aus Samt und Damast, Geschmeide und Kopfputz mit Hüten mit Schleier. Nach ihrem Aufenthalt im Gefängnis schienen sie Claire wie aus einer anderen Welt zu kommen. Die Menschenmassen strömten an ihr vorbei, ohne zu helfen – entweder blind für ihre Not oder mit verächtlichem Gesichtsausdruck. Sie hielten Valentín wohl für einen betrunkenen Polizisten.
    »Valentín …«, flüsterte sie zum wiederholten Male.
    Seine Augenlider zuckten, aber als sie sich kurz öffneten, war nur Weißes zu sehen.
    Nachdem die Prozession schon vorüber war, folgten zwei Männer mit Zylinder und unterhielten sich lautstark über die Predigt, die einmal mehr nicht den großen Mysterien, sondern der Tagespolitik gegolten hatte. Die Priester Montevideos redeten lieber über die Vorzüge des eigenen Landes gegenüber Europa als über die Jungfrau Maria.
    »Bitte … bitte, ich brauche Hilfe.«
    Diesmal fielen die Blicke, die sie trafen, spöttisch aus. »Lass diesen Säufer lieber liegen, Mädchen.«
    Lachend gingen die Männer einfach weiter, und Claire packte die Wut. Am liebsten wäre sie ihnen nachgerannt, hätte sie für ihre Mitleidlosigkeit zur Rede gestellt und erklärt, dass der Mann schwer krank war. Aber dann hätte sie wohl oder übel zugeben müssen, dass die lange Gefängnishaft der Grund dafür war. Und hätten die Männer erst einmal geahnt, dass der vermeintliche Polizist ein Paraguayer war, hätten sie ihn wohl nicht nur einfach sterben lassen, sondern sogar noch liebend gerne nachgeholfen.
    Die Wut erstarb, stattdessen war sie den Tränen nahe. Ehe tatsächlich Tränen über die Lider quollen, erblickte sie in der Ferne Espe. Sie kam nicht allein, sondern wurde von Valeria begleitet. In den letzten Tagen hatte Claire sie stets nur flüchtig gemustert, doch nun bot ihr geschwollener Leib einen nahezu monströsen Anblick. Das Kind, das sie unter ihrem Herzen trug, musste riesig sein.
    »Valeria!«, rief Claire entsetzt. »Du solltest doch nicht hierherkommen!«
    Die Cousine achtete gar nicht auf sie, sondern stürzte zu Valentín und kniete sich neben ihn. Auch als sie ihn sachte schüttelte und auf ihn einredete, blieb er reglos liegen.
    »Ich muss zurück zu Luis …«, stammelte Claire. »Und ich brauche doch die Uniform …«
    Valeria achtete weiterhin nicht auf sie, aber Espe meinte zweifelnd: »Wir müssen ihn von hier fortschaffen, und das geht nicht ohne dich.«
    »Aber wohin sollen wir ihn bringen?«
    »Wenn er den morgigen Tag erleben will, muss er am besten ins Krankenhaus.«
    Jenes lag im Südwesten der Stadt, wie Claire wusste. Ihr Vater und Julio de la Vegas bedachten es regelmäßig mit Spenden.
    »Das ist unmöglich!«, rief Valeria. »Dort könnte man herausfinden, wer er ist.«
    »Und wenn wir behaupten, dass er in eine Prügelei geraten ist?«, schlug Claire vor.
    Valeria schüttelte den Kopf. »Der Weg ist ohnehin zu weit – am besten, wir bringen ihn wie geplant ins Wirtshaus.«
    Sie machte Anstalten, ihn an den Schultern hochzuziehen. »Nicht!«, rief Claire entsetzt. »Du musst dich doch schonen. Du kannst ihn unmöglich tragen.«
    »Aber für euch beide ist er viel zu schwer …«
    Trotz ihrer Widerrede – Valerias vermeintliche Entschlossenheit zeigte Sprünge.
    »Dann müssen wir eben zusehen, dass er wieder aus der Ohnmacht erwacht«, schaltete sich Espe ein.
    Sprach’s und ging davon, ohne Valerias Zustimmung abzuwarten. Als sie wiederkam, brachte sie einen Krug Wasser mit. Claire war sich nicht sicher, wo sie diesen so rasch aufgetrieben hatte, vermutete aber, dass er aus einer Kirche stammte und mit Weihwasser gefüllt war. Ohne Zweifel war es ein Sakrileg, aber was konnte eine schlimmere Sünde sein, als Luis verraten zu haben, Luis, der

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