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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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zwar dreckig und zerrissen, aber aus Seide.
    »Sie sind sehr reich, nicht wahr?«, fragte sie ehrfürchtig.
    Tabitha hatte keine Ahnung, warum das so wichtig war. Stattdessen fragte sie sich bang, ob auch das Haus der de la Vegas’ vom Erdbeben betroffen worden war und wie es Isabella ging. Und José – mein Gott, José! In der Aufregung hatte sie gar nicht an ihn gedacht. Ob er wohl das Beben heil überstanden hatte? Und wo sollte sie überhaupt nach ihm suchen?
    Sie könnte Tante Claire um Hilfe bitten, wusste jedoch nicht, ob diese überhaupt schon wieder nach Hause gekommen war.
    Tabitha war ratlos, was sie tun sollte. Am liebsten hätte sie das Krankenhaus sofort verlassen, aber sie konnte sich nicht dazu überwinden, zumal Carlota sich wieder aufzusetzen versuchte und diesmal den Schmerzen trotzte.
    »Bleib noch!«, rief sie.
    Die Stimme klang sehr befehlend, und trotz der Sorge um ihre Familie und José war Tabitha erleichtert, dass es jemanden gab, der einfach über sie bestimmte und ihr die Entscheidung, was zu tun war, abnahm.
    »Ich glaube, wir haben uns viel zu erzählen«, sagte Carlota. »Wer fängt an?«
     
    Kaum eine halbe Stunde später hatten sie sich das Wichtigste über ihr Leben berichtet.
    Carlota rauschte der Kopf, aber die Schmerzen hatten nachgelassen. Sie schwitzte unter dem Verband und nestelte daran.
    »Du darfst ihn doch nicht einfach abmachen!«, rief Tabitha entsetzt.
    »Wer will’s mir denn verbieten? Und es kommt doch kaum frisches Blut mehr. Siehst du?«
    Tabitha starrte sie halb zweifelnd, halb bewundernd an.
    »Nun sei doch nicht so ein Hasenfuß. Du hast mir doch eben erzählt, dass du einen Stallburschen geküsst hast – würde das ein durch und durch braves Mädchen tun?«
    Tabitha kniff gekränkt die Lippen zusammen. »Er ist kein Stallbursche, sondern ein Gaucho.«
    »So oder so ist er ganz sicher nicht die richtige Partie für dich.«
    Tabitha nickte gequält. »Es ist alles so furchtbar, ich weiß gar nicht …«
    Carlota hob abwehrend die Hände. Am Anfang hatte die Neugierde überwogen, und sie hatte – zutiefst fasziniert – so viel wie möglich über ihr Ebenbild erfahren wollen. Doch mit der Zeit stimmten sie Tabithas viele Klagen immer gereizter. Sie tat gar so, als wäre das Leben bei den de la Vegas’ eine Last. Dabei lebte sie in einem schönen Haus und trug edle Kleidung – ganz zu schweigen von dem Luxus, der ihr bei den Gothmanns zuteilwurde. Warum durfte sie ein solches Leben führen, während sie im winzigen Mietshaus der Eltern versauerte?
    »Du hast es besser getroffen als ich, glaub mir«, sagte sie hart.
    »Aber deine … unsere Eltern haben dich behalten«, murmelte Tabitha.
    »Und was nutzt mir das?«, rief Carlota. »Ständig streiten sie sich. Und sie denken nur an sich. Was ich will, interessiert sie überhaupt nicht.«
    »Aber das bedeutet doch auch, dass sie dir sämtliche Freiheiten lassen, nicht wahr?«
    Carlota dachte kurz nach. Tabitha hatte ohne Zweifel recht – wenn sie sich in einen Gaucho verlieben würde, würde niemand gegen diese Beziehung Einspruch erheben. Sie musste nähen und Geld verdienen, aber ansonsten konnte sie frei über ihr Leben bestimmen. Bis jetzt war ihr diese Freiheit nicht als besonders kostbares Gut erschienen, doch plötzlich wurde sie zum wichtigsten Besitz, den sie in die Waagschale werfen konnte.
    »Was sollen wir denn jetzt tun?«, fragte Tabitha. »Sagen wir deinen … unseren Eltern und Großeltern, dass wir uns begegnet sind?«
    Carlota schüttelte den Kopf. »Was soll das bringen? Sie werden alle einen Grund gehabt haben, uns die Wahrheit zu verschweigen. Nein, nein.« Sie beugte sich vertraulich vor. »Ich habe eine viel bessere Idee, wie wir aus unserer Begegnung einen Nutzen ziehen können.«
    Als Tabitha sie fragend ansah, zögerte Carlota kurz. Ihre Zwillingsschwester war offenbar ein ziemlich verwöhntes, leichtgläubiges Mädchen, und sie hatte keine Ahnung, ob sie überhaupt auf den Vorschlag eingehen würde oder die Skrupellosigkeit besaß, den Plan durchzuziehen. Aber dann dachte sie an das mühselige Leben mit den Eltern und an die lästigen Näharbeiten. Wie überdrüssig sie all dessen war!
    »Sieh doch«, raunte sie, »du willst deinen José – und ich will ein schöneres Leben. Und ich weiß, wie wir beide das bekommen, was wir uns wünschen.«

33. Kapitel
    C laire war seit langem nicht mehr in Montevideos Zentrum gewesen. In den ersten Jahren hatte sie sich regelmäßig ins

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