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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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in dich verliebt habe. Ehe er nachbohren konnte, fragte sie schnell: »Und du …«, sie deutete auf seine Uniform, »du bist immer noch Polizist?«
    Er blickte so verwundert auf sich hinab, als sähe er heute zum ersten Mal, was er trug. »Eigentlich nicht. Nachdem ich aus Paraguay heimgekehrt bin, bin ich aus dem Polizeidienst ausgeschieden. Ich gehöre lediglich zu einer Art Reserve – in Situationen wie diesen greift man auf meine Hilfe zurück. Ansonsten verdiene ich mein Geld bei der Eisenbahn.«
    Sie nickte. Viele Männer seines Alters hatten bei einer der zehn Eisenbahngesellschaften des Landes Arbeit gefunden, wie sie wusste.
    »Bei der Eisenbahn«, echote sie. »Wahrscheinlich bist du viel unterwegs …«
    Jene Erinnerungen, die sie ansonsten ihres Seelenfriedens willen unterdrückte, stiegen hoch. Sie sah sich an seiner Seite durch das wilde, einsame Uruguay reiten, an knorrigen Bäumen vorbei, unter kreischenden Vögeln, entlang von Flüssen und Bächen …
    »Nur in den ersten Jahren, jetzt bin ich vor allem am Hafen tätig«, sagte er hastig. »Einerseits werden mit der Eisenbahn Mais und Weizen direkt dorthin geliefert, um zu Mehl verarbeitet und verschifft zu werden. Andererseits werden die Lokomotiven und Waggons in den hiesigen Ausbesserungswerkstätten gewartet.«
    Er redete viel und schnell, aber nichts war von Bedeutung … nichts betraf ihre Vergangenheit. Und nichts wappnete Claire gegen den Schmerz, der der Einsicht folgte, dass der Zufall sie zwar endlich zusammengeführt hatte, er jedoch mit einer so gleichgültigen Stimme sprach, als wäre sie eine Fremde. Das war noch unerträglicher als offene Feindseligkeit.
    »O Luis«, brach es aus ihr heraus, »ich bin so unendlich froh, dass du lebst. All die Jahre fürchtete ich, du wärst gefallen. Ich habe mich schuldig gefühlt und …«
    »Ich war verpflichtet, für mein Land zu kämpfen«, unterbrach er sie harsch.
    »Aber du bist doch nur eingezogen worden, weil …«
    Er hob abwehrend die Hand. »Das spielt keine Rolle mehr. Ich muss jetzt auch weiter.«
    Prompt drehte er sich um und ging seines Weges. Sie sah, wie seine Schultern kaum merklich bebten – ein Zeichen, dass seine Erschütterung wohl tiefer ging, als sein gleichmütiger Tonfall glauben machte. Eine Weile starrte sie ihm hilflos nach – dann wusste sie: Sie konnte ihn nicht gehen lassen.
    »Luis, warte!«
    Er blieb stehen, doch als sie ihn erreichte, wusste sie nicht, was sie sagen sollte.
    »Ich bin auf der Suche nach meiner Nichte«, erklärte sie schließlich, »hast du sie vielleicht gesehen? Sie ist ein hübsches Mädchen, knapp zwanzig Jahre alt. Sie hat schwarze Haare, hellblaue Augen, und ihre Züge kommen ganz nach Valeria. Du weißt doch noch, wie Valeria aussah.«
    Sie biss sich auf die Lippen, als sie bemerkte, wie Luis die Stirn runzelte. Doch offenbar war es nicht Zeichen von Entrüstung, weil sie an der Vergangenheit rührte, sondern Nachdenklichkeit.
    »Ich habe tatsächlich eine junge Frau, wie du sie beschreibst, gesehen. Aber sie war nicht allein – ihre Schwester war bei ihr.«
    »Dann ist sie es nicht.«
    »Vielleicht habe ich mich auch geirrt, und die andere Frau war gar keine Verwandte. Du solltest dir das Mädchen auf jeden Fall ansehen!«
    Wieder wandte er sich zum Gehen, und sie überlegte verzweifelt, wie sie ihn aufhalten könnte.
    »Bringst du mich zu ihr?«, fragte sie schließlich. »Ich weiß nicht, welchen Krankensaal du meinst.«
    Sie fühlte, dass er mit sich rang – aber wenn auf etwas Verlass war, dann auf sein Pflichtgefühl und seine Hilfsbereitschaft.
    »Also gut, komm mit.«
     
    Claire war so verwirrt, Luis getroffen zu haben, dass sie wenig später Tabitha nur sprachlos mustern konnte. Anstatt erleichtert auf sie loszustürzen, verharrte sie an der Tür. Jeder Schritt, der sie Tabitha näher brachte, würde sie weiter von Luis fortführen, der sie zwar wie versprochen begleitet hatte, nun aber, nachdem sie den Namen ihrer Nichte gerufen hatte, keine Anstalten machte, den Krankensaal zu betreten.
    Tabitha selbst zögerte ebenfalls. Anstatt auf die Tante zuzulaufen, sah sie sie wie eine Fremde an. Überdies hatte sie sich seit ihrem letzten Treffen verändert. Die Augen wirkten in dem deutlich hageren Gesicht größer, die Grübchen auf den Wangen fehlten, und der Zug um den Mund war etwas verkniffen. Allerdings war es schon Wochen her, dass Claire sie zuletzt gesehen hatte, und nicht nur die zerrissene und schmutzige

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