Die Rosen von Montevideo
schon vielen Damen Gesangsunterricht zu geben – ich kenne mich aus, wirklich.«
»Soso«, gab sie zurück, »und jetzt sind Sie immer noch bereit, Unterricht zu geben? Trotz Ihres Engagements an der Oper?«
»Wenn es sich lohnt, wer weiß.«
Sie lächelten sich schweigend an. Nach einer Weile ließ Carlota die Zigarette zu Boden fallen und trat sie aus.
»Sie haben recht«, meinte sie mit einem vielsagenden Zwinkern. »Ich sollte wohl wirklich besser nicht mehr rauchen.«
Als der Ball vorüber war, Carlota längst wieder im Bett lag und Nicolas spät in der Nacht, nachdem die meisten Gäste das Anwesen verlassen hatten, in den Garten trat, löste sich eine dunkle Gestalt vom Schatten der Wand und eilte auf ihn zu.
Nicolas fuhr herum. »Du hast hier auf mich gewartet?«, fragte er verwundert.
Mit fahrigem Blick musterte der andere erst ihn, dann das Haus. Mit Nicolas waren die anderen Musiker ins Freie getreten, und sie blieben stehen und fragten, ob er denn doch nicht mit ihnen fahren wollte.
»Nein«, erklärte er, »wie es aussieht, hat mich mein Vater abgeholt.«
Für den Fall, dass sie darüber verwundert waren, zeigten sie es nicht.
Nicolas wandte sich wieder an den dunklen Mann. »Also, Vater, warum bist du hier? Ich hätte dir später doch auch alles berichten können.«
»Tu es jetzt!«
Unwillkürlich hatte Laurent Ledoux die Schulter seines Sohns umfasst. Obwohl nur spärliches Licht auf sie fiel, konnte Nicolas sehen, wie die Ader an seiner Schläfe pochte – wie immer, wenn er höchst erregt war. Dass er das eben war, war kein Wunder – schließlich schien er seinem Ziel so nahe wie noch nie.
»Nun, alles ist gut gelaufen«, sagte er schnell, »sogar noch besser, als wir es uns in den kühnsten Träumen ausgemalt haben. Tabitha Gothmann war mit mir allein im Garten, um zu plaudern – und ich werde ihr wohl künftig Gesangsstunden geben.«
»Großartig!«, rief sein Vater triumphierend. »Wirklich großartig! Das hast du gut gemacht!«
Kurz fühlte Nicolas heißen Stolz, den sonst oft nörgelnden Vater endlich einmal zufriedenstellen zu können, doch alsbald erwachten Zweifel.
»Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob wir ein unschuldiges Mädchen …«
»Sie ist eine Gothmann!«, unterbrach Laurent ihn scharf. »Und die Gothmanns werden dafür zahlen, was sie meinem Vater – deinem Großvater – angetan haben.«
»Aber sie ist doch erst Jahrzehnte nach Großvaters Tod geboren worden«, wandte Nicolas vorsichtig ein.
Laurent runzelte die Stirn. »Wann wirst du es endlich lernen?«, zischte er ungehalten. »Gerechtigkeit ist nichts, was einem in den Schoß fällt, sondern was man sich zu erkämpfen hat!«
Nicolas senkte den Blick. Er verstand ja, was den Vater antrieb, oder versuchte es zumindest. Und er war ja auch dankbar, dass dieser von ihm stets Disziplin verlangt und ihm nutzlose Träume ausgetrieben hatte – sonst wäre er nie der Musiker geworden, der heute junge Damen entzückte. Aber der Hass, der in ihm schlummerte und in Augenblicken wie diesem so unbeherrscht hervorbrach, erschreckte ihn.
»Ich bin doch bereit, an deinem Vorhaben mitzuwirken«, hielt er ihm schwach entgegen.
Laurent ließ ihn los. »Albert Gothmann hat meinen Vater Fabien kaltblütig erschossen. Ich will ja gar nicht, dass dem Mädchen etwas zustößt, ich will nur endlich, dass Albert die ganze Wahrheit gesteht und zugibt, dass mein Vater nicht bei einem Brand, sondern durch seine Kugel starb, und dass er zur Verantwortung gezogen wird. Komm, lass uns nach Frankfurt fahren.« Er zog ihn mit sich, und Nicolas war so müde, dass er ohne weiteren Widerspruch folgte. Seine Zweifel hingegen wuchsen. Früher hatte ihm der Vater nicht nur vorgeworfen, dass er zu verträumt, sondern auch, dass er zu leichtgläubig sei. Jetzt wünschte er sich fast, er wäre es tatsächlich und könnte seinem Vater vorbehaltlos vertrauen. Leider wurde er den unangenehmen Verdacht nicht los, dass Laurent noch mehr im Schilde führte, als er zugab, und dass er sich mit Albert Gothmanns Geständnis allein nicht zufriedengeben würde.
36. Kapitel
E inige Wochen waren vergangen, seit Tabitha bei Valeria und Valentín lebte, aber immer noch konnte sie sich nicht in den neuen Alltag einfinden. Sie versuchte, die Zähne zusammenzubeißen und es zu ertragen – das ärmliche Haus, das schlechte Essen und die einfache Kleidung –, aber sie wurde immer unglücklicher, und selbst die Treffen mit José konnten ihre
Weitere Kostenlose Bücher