Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
Vom Netzwerk:
Laune nicht aufhellen. Sie sahen sich am Hafen oder am Meer, denn er wollte nicht, dass sie noch einmal zu den Conventillos kam – und immer, wenn sie seinen Geruch einatmete, sein verwegenes Lächeln sah und in seinen Augen versank, redete sie sich ein, dass sich ihr Opfer lohnte. Aber viel zu schnell mussten sie sich wieder verabschieden, und auf dem Heimweg überkam sie jedes Mal nackte Verzweiflung.
    Seit jenem ersten Mal hatten sie sich noch ein paar Mal geliebt, meist irgendwo am Strand hinter Bäumen versteckt. Notgedrungen war es ein hastiger, schamvoller Akt. Sie spürte gerne seine Haut und mochte es, wenn er sie streichelte, liebkoste oder ihr durchs Haar fuhr, doch sobald er auf ihr lag, ging immer alles ganz schnell. Es tat nicht mehr weh wie beim ersten Mal, fühlte sich manchmal sogar ganz angenehm an, aber insgeheim dachte sie immer: So sollte es nicht sein.
    Wenn sie dann heimkam, wurde sie bereits ungeduldig von Valeria oder Valentín erwartet. Erstere war so hilflos ohne Augenlicht, wenngleich sie sich das nicht anmerken lassen wollte. Zweiterer verlangte stets gereizt, sie solle ihrer Mutter gefälligst mehr helfen und sich nicht ständig herumtreiben. Auch aus ihm sprach die Hilflosigkeit, aber Tabitha fiel es zunehmend schwerer, schnippische Worte oder Tränen zurückzuhalten.
    Schlimm genug, dass sie so ärmlich lebten, obendrein musste sie Valerias fehlende Arbeitskraft wettmachen. Sie nähte gut und gerne, aber nach vielen Stunden im schlechten Licht taten ihr Augen, Rücken und Finger weh.
    Valeria lobte sie wenigstens dafür, wenn sie auch meist geistesabwesend wirkte – Valentín dagegen war unnahbar und streng. Tagsüber war er Gott sei Dank nicht da, aber abends kehrte er umso mürrischer nach Hause zurück und gab ihr das Gefühl, sie könnte ihm nichts recht machen.
    Eines Morgens gab er Tabitha einen Peso für Einkäufe. Im Haus ihres Großvaters wurde zwar oft über Geld gesprochen, aber sie hatte keine Ahnung, was eine solche Münze wohl wert war. Mühsam versuchte sie, sich ins Gedächtnis zu rufen, wie viel für ihre Kleidung im Hause der de la Vegas’ ausgegeben wurde: Ihr Großvater hatte oft gestöhnt, in Montevideo wäre alles so viel teurer als in Deutschland – vor allem die Arbeiten der Schneider, Schuster und Tischler. Bis jetzt hatte sie sich nie darüber Gedanken machen müssen, aber nun erinnerte sie sich vage, dass ein Paar Stiefel zehn Pesos kostete, ein Paar Beinkleider fünfzehn und ein Rock gar fünfunddreißig. Allerdings hatte ihr Valentín ja das Geld für den Kauf von Lebensmitteln, nicht von Kleidung gegeben. Am besten, sie sah sich einfach mal auf dem Markt um, was sie dafür würde erhalten können.
    Wie immer drängten sich die Menschen vor den vielen farbenfrohen Ständen. Schon beim ersten blieb sie stehen. Hier wurden Granatäpfel angepriesen, dunkelrot und gewiss mit saftigen Kernen. Im Haus der de la Vegas’ hatte es sie in Fülle gegeben, und sie hatte diese Frucht immer geliebt. Sie kaufte sofort einen, was bedeutete, dass gleich ein halber Peso weg war, und der Rest des Geldes reichte gerade noch für etwas Brot. Rindertalg, der anstelle von Butter darauf geschmiert wurde, brachte der Vater schließlich aus dem Saladero mit – auf Reis und Bohnen, vor allem auf Fisch mussten sie eben verzichten. Nun, sie konnte das gut und gerne – Hauptsache, sie bekam etwas von dieser leckeren Frucht. Natürlich müsste sie sie mit den Eltern teilen, aber das minderte nicht die Vorfreude auf den Genuss. Nur mühsam bezwang sie ihre Gier bis zum Abend.
    Als der Vater heimkehrte, starrte er erbost auf den Granatapfel. »Bist du verrückt, Geld für so etwas auszugeben?«, herrschte er sie an.
    »Aber sie sahen doch so gut aus! Und sie schmecken köstlich!«
    »Na und? Granatäpfel sind viel zu teuer! Das können wir uns nicht leisten, das weißt du ganz genau!«
    »Aber …«
    »Adolfo verdient fünfzig Pesos im Monat – und Mercedes kann es sich erlauben, Granatäpfel zu kaufen, vorausgesetzt, dass er das ganze Geld nicht versäuft, aber wir nicht!«
    Verdiente der Nachbar tatsächlich nur fünfzig Pesos? In einem ganzen Monat? Und Valentín etwa noch weniger?
    Aber schließlich leistete sie auch einen Beitrag zur Haushaltskasse. »Ich habe so viel genäht!«, erklärte sie trotzig.
    Dieses Argument stimmte Valentín nicht gnädiger. »Das musst du auch, um deine Mutter zu ersetzen«, herrschte er sie an. »Du weißt genau, dass wir für die

Weitere Kostenlose Bücher