Die Rosen von Montevideo
stieß fast mit Mercedes zusammen. »Na, Mädchen, so eilig unterwegs? Wie geht’s deiner Mutter? Ich habe schon lange …«
Tabitha konnte nichts sagen, sich nur vorbeugen und sich übergeben.
Angewidert zuckte Mercedes zurück. »Jesus Maria! Das hat gerade noch gefehlt. Deine armen Eltern.«
Tabitha dachte, dass sich die Frau nach dem Erdbeben vor einer Seuche fürchtete. »Ist es eine Krankheit?«, fragte sie entsetzt.
Statt Ekel und Angst erschien nur Überdruss in Mercedes’ Miene. »Eine Krankheit, die neun Monate dauert und am Ende einen kleinen Schreihals hervorbringt.«
Sprach’s und ging ihres Weges.
Tabitha blickte ihr wie erstarrt nach. Was sagte die Alte da? Dachte sie wirklich, sie sei …?
Nein, nicht einmal denken wollte sie das! Das durfte doch nicht sein!
Sie hörte wieder die Mutter ihren Namen rufen, kehrte aber nicht ins Haus zurück, sondern lief auf die Straße. Doch dort konnte sie nur vor Valeria fliehen – nicht vor ihren Ängsten.
Ja, es durfte nicht sein, aber es
konnte
sein. Kein einziges Mal, seit sie hier lebte, hatte sie die grässliche Monatsblutung gehabt.
Sie lief dem schlimmen Verdacht davon, schnell, immer schneller, lief durch die Stadt, an Menschen vorbei, erreichte schließlich die Conventillos, wo José lebte.
Als sie vor ihm in diesem ärmlichen Zimmer stand, konnte sie der Wahrheit nicht länger davonlaufen.
»Tabitha«, setzte er an.
Die Übelkeit hatte etwas nachgelassen, aber die Brust tat ihr vom schnellen Rennen weh. Sie brach in Tränen aus.
»Ich … ich glaube, ich bin schwanger.«
Minute um Minute verging in Schweigen. Erst blickte er sie nur überrascht an, dann senkte er den Blick. Sie wusste nicht, worauf genau sie wartete. Bis eben hatte sie gefürchtet, dass die Ahnung wahr sein könnte, doch kaum hatte sie sie ausgesprochen, wurde sie von Glücksgefühlen durchströmt.
Sie bekam ein Kind. Ihr und Josés Kind. Sie würden eine kleine Familie sein. Und glücklich. Viel glücklicher als Valeria und Valentín und Carlota.
Doch anstatt endlich etwas zu sagen, bückte sich José, nahm ein Paar Lederstiefel und stopfte sie in eine Tasche. Erst jetzt sah sie, dass sie schon halbvoll war – offenbar hatte er bereits vor ihrem Eintreffen begonnen, sein Hab und Gut zusammenzupacken.
»Was … was sagst du denn nun dazu, dass ich ein Kind bekomme?«, fragte sie.
Er zuckte die Schultern. »So etwas passiert eben …«
Welche Worte sie sich auch immer erhofft hatte – das waren die falschen. Ihre Augen füllten sich mit neuen Tränen. »José …«
Da war kein Glücksgefühl mehr, nur Panik … auch Wut.
Die widerstreitenden Gefühle, die sich auf ihrer Miene ausbreiteten, entgingen ihm nicht. »Natürlich freue ich mich«, sagte er hastig. Doch anstatt zu lächeln, sie zu umarmen und seine Hände liebevoll auf ihren Bauch zu legen, fuhr er fort, seine Sachen in die Tasche zu packen, und wich dabei ihrem Blick aus.
»Warum packst du? Wohin willst du?«
»Hier finde ich nun mal keine Arbeit, also werde ich Montevideo verlassen. Ich habe es in der Stadt nie so gut ausgehalten, ich brauche den Anblick von weitem Land.«
»Aber …«
»Du kannst natürlich mitkommen«, erklärte er schnell.
Ihr Mut sank. »Wo willst du denn auf dem Land Arbeit finden? Willst du dich wieder als Gaucho verdingen? Ich dachte, die werden nicht länger gebraucht. Und du wolltest doch kein Feldarbeiter sein!«
»Das stimmt. Und deswegen werde ich in die Schafzucht einsteigen.«
Tabitha runzelte skeptisch die Stirn.
Er dagegen trat endlich auf sie zu, ergriff ihre Hände und drückte sie: »Versteh doch!«, rief er begeistert. »Es ist das Geschäft der Zukunft. Allein im letzten Jahrzehnt hat sich der Schafbestand vervielfacht, da die Nachfrage aus Europa deutlich gestiegen ist. Die Zuchtmethoden haben sich verbessert – nicht zuletzt dank der vielen Einwanderer aus Europa. Kaum eine Viehzucht bringt einen so großen Ertrag wie die Schafzucht, da nicht nur das Fleisch, sondern vor allem die Wolle verkauft wird.«
Tabitha entzog ihm die Hände. Sosehr sie sich nach diesem Zeichen der Nähe gesehnt hatte – es befremdete sie zutiefst, dass er von Schafen begeisterter sprach als von ihrem gemeinsamen Kind. »Mein Onkel Julio sagte einmal, dass die Schafzucht fast ausschließlich in den Händen der Engländer liegt«, murmelte sie.
»Eben! Und wer ist denn hierzulande der Reichste? Die Engländer! Und nicht etwa die Deutschen, Franzosen oder
Weitere Kostenlose Bücher