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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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nicht schwanger war.
    Dunkelheit senkte sich über die Stadt – nach dem Erdbeben funktionierte die Straßenbeleuchtung noch nicht –, und zu allem Unbehagen gesellte sich nun auch die Furcht vor Dieben.
    Sie musste unbedingt nach Hause, auch wenn sie keins mehr hatte: nicht bei den Eltern, die sie kaum kannte, nicht bei den de la Vegas’, die sie schwanger nicht wieder aufnehmen würden, nicht bei José, der selbst heimatlos durch die Nacht ritt, nicht …
    Sie atmete tief durch. Plötzlich war ihr eine Idee gekommen, bei wem sie Unterschlupf finden könnte.

37. Kapitel
    C laires Herz schlug bis zum Hals, als sie zum Haus der Silveiras aufbrach. Sie hatte lange mit sich gerungen, ob sie tatsächlich die Einladung zum Abendessen annehmen sollte. Zunächst hatte sie gedacht, dass Luis sie ohnehin nicht ernst gemeint hatte, doch nachdem sie einige Wochen lang nichts von ihm gehört hatte, erreichte sie ein Brief von ihm. Sonderlich freundlich klangen seine Zeilen, mit denen er die Einladung wiederholte, nicht, jedoch sehr höflich.
    Sie hatte gezögert, schließlich schriftlich zugesagt und heute ihr bestes Kleid angezogen. Nun stand sie vor dem Haus und betrachtete es. Beim ersten Mal hatte sie keine Augen dafür gehabt – jetzt stellte sie fest, dass es zwar klein, aber sehr sauber war. Die Holzbalken vor den Fenstern waren nicht verwittert wie bei vielen der Nachbarhäuser, der weiße Verputz bröckelte noch nicht.
    Sie atmete tief durch, und ihre Hand zitterte, als sie klopfte. Sie wappnete sich, gleich Luis gegenüberzustehen, doch es war ein kleines Mädchen, das ihr öffnete – höchstens acht Jahre alt, mit verschmitztem Gesicht und zwei Zöpfen im gleichen rötlich braunen Ton wie Luis’ und Antonios Haare. Der Mund war von einer Creme verschmiert.
    »Bist du Monica oder Dolores?«, erkundigte sich Claire.
    Das Mädchen antwortete nicht darauf. »Ich habe Alfajores gebacken!«, verkündete es stolz.
    Alfajores waren eine Süßspeise, die hierzulande oft verzehrt wurde: zwei Stück mit Dulce de Leche gefüllte Biskuits.
    »Willst du eines kosten?«, fragte das Mädchen.
    Ehe Claire antworten konnte, nahm es sie bei der Hand und führte sie über einen blau gekachelten Flur in die Küche. Von Luis war nichts zu sehen, aber Antonio stand hinter dem Herd und gleich daneben ein weiteres Mädchen, etwas größer als das andere, mit dunkleren Haaren und einem strengen Blick.
    »Nicht du hast die Alfajores gemacht, Dolores, sondern ich!«, erklärte es barsch.
    Antonio zwinkerte Claire vertraulich zu. »Die beiden prahlen immer, wie gut sie kochen können, dabei bleibt die meiste Arbeit an mir hängen.« Während er sprach, rührte er den Eintopf um, der auf dem Herd köchelte, und wischte Dolores den Mund ab. Claire war erstaunt, wie geübt der Junge, der nur um wenige Jahre älter als seine Schwester schien, darin war, die Mädchen zu versorgen.
    »Kann ich helfen?«, fragte sie.
    »Wie wär’s mit Tisch decken?«, gab Antonio zurück.
    Claire betrat das Esszimmer – einen niedrigen Raum mit dunklen Dielen, wurmstichigen Möbeln und einer Glasvitrine, in der sich Geschirr und Besteck befanden. Sie öffnete sie und suchte nach Gläsern, als sich plötzlich jemand hinter ihr räusperte. Erschrocken fuhr sie herum und sah Luis an der Türschwelle stehen.
    »Ich wollte Antonio beim Tischdecken helfen«, erklärte sie hastig. Schuldbewusst trat sie von der Glasvitrine zurück, als hätte sie etwas Verbotenes getan.
    »Ist schon gut.«
    Mehr sagte er nicht, und seine Miene zeigte nicht das geringste Anzeichen von Freude, dass sie gekommen war. Am liebsten wäre sie sofort wieder aus dem Haus geflohen, doch da trat Antonio mit dem Eintopf und einem Korb Brot ins Zimmer, und seine Schwestern folgten. Weiterhin wortlos ging Luis an Claire vorbei und deckte nun selbst den Tisch, doch das angespannte Schweigen war nicht von langer Dauer. Schon als sie Platz nahmen, plapperten die Kinder munter durcheinander und fuhren beim Essen trotz vollem Mund damit fort. Claire fand es eher erfrischend als schlecht erzogen und war überdies erleichtert, dass in dem Stimmengewirr nicht auffiel, dass sowohl Luis als auch sie kaum etwas sagten.
    Sie löffelte ihren Teller leer, um Antonio nicht zu enttäuschen, hätte jedoch nicht zu sagen vermocht, was sie da aß und wie es schmeckte.
    Erst als sie beim Dessert angelangt waren, hatte sie sich wieder gefasst und fragte: »Wer hat euch denn eigentlich beigebracht, so gute

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