Die Rosen von Montevideo
Widerwillen, ihn gnädig stimmen zu müssen. »Warum bist du nur so?«, brach es aus ihr hervor. »So verschlossen? So … kalt?«
»Das fragst du?« Nicht länger konnte er seine Züge beherrschen. Er lief rot an, und seine Lippen bebten. »Du hast mich damals verraten!«
Er war aufgesprungen, und Claire tat es ihm unwillkürlich gleich. Obwohl er um einiges größer war, schüchterte er sie nicht ein. Im Gegenteil: Zu ihrem Erstaunen merkte sie, dass ihre Wut sogar noch wuchs, anstatt sich zu legen. »Das ist viele Jahre her!«, rief sie. »Ich dachte, deine Einladung wäre ein Zeichen, dass du mir vergeben kannst.«
»Das kann ich nicht! Glaub nicht, ich hätte es nicht versucht, aber …«
Sie sah Schmerz und Trotz in seinem Gesicht und fühlte beides selbst. Übermächtig blieb jedoch der Zorn. All die Jahre hatte sie sich schuldig gefühlt, aber als sie ihn nun betrachtete, dachte sie nicht an ihr eigenes Fehlverhalten, nur: Das habe ich nicht verdient.
Sie wusste, dass es besser wäre, zu gehen, aber sie setzte sich wieder und verkrampfte die Hände ineinander.
»Ich hingegen habe dir vergeben«, sagte sie leise, »denn scheinbar bin ich großmütiger als du. Ja, ich konnte dir verzeihen, dass du dein verdammtes Pflichtbewusstsein vor unsere Liebe stelltest.«
Er blickte sie verwundert an. Gewiss war er nie auf die Idee gekommen, dass auch er sich schuldig an ihr gemacht hatte – sie selbst hatte ja auch nie so weit zu denken gewagt. Doch nun fuhr sie fort, und mit jedem Wort, das sie sprach, fühlte sie sich befreiter: »Ich weiß, ich habe dich verraten, hintergangen und bitter enttäuscht. Aber ich tat es doch nicht aus Eigennutz! Ich habe um Valerias willen so gehandelt – und die hat es mir nicht einmal gedankt. All ihre Gedanken galten Valentín und ihren ungeborenen Töchtern. Was ich für sie geopfert habe, ist ihr gar nicht bewusst geworden. Am Ende habe ich sie genauso verloren wie dich, obwohl sie mir nahestand wie eine Schwester. Vergeblich habe ich versucht, wieder mit ihr Kontakt aufzunehmen. Nachdem sie sich von ihrer Familie losgesagt hatte, wollte sie auch mit mir nichts mehr zu tun haben. Du kannst mir glauben, Luis: Für das, was ich dir angetan habe, wurde ich vom Leben genug bestraft. Du … du bist heil aus dem Krieg wiedergekehrt, du hast eine Familie – drei gesunde, wohlgeratene Kinder. Ich hingegen bin eine einsame, alte Frau, deren glücklichste Zeit Jahrzehnte zurückliegt. Weißt du, wenn du mir nicht verzeihen kannst, dann ist es eben so, und ich werde damit leben müssen wie mit so vielem anderen auch. Aber glaub nicht, du wärst der bessere, heldenhaftere Mensch, nur weil du deinen verfluchten Stolz und deine Selbstgerechtigkeit nicht wenigstens für kurze Zeit schlucken und mir einen einzigen Abend lang das Gefühl geben kannst, mein Leben wäre nicht völlig zerstört und sinnlos.«
Sie hatte entschlossen begonnen, aber gegen Ende ihrer Rede zitterte ihre Stimme immer stärker. Nach ihrem letzten Satz konnte sie die Tränen nicht länger zurückhalten. Sie wollte sie ihm nicht zeigen und wollte auch nicht in seinem Gesicht nach den Gefühlen forschen, mit denen er ihre Worte aufnahm.
»Es ist besser, ich gehe jetzt«, rief sie heiser.
»Claire …«
Sie hatte kaum die Tür erreicht, als er ihr folgte und ihre Hand nahm. Nun konnte sie gar nicht anders, als in sein Gesicht zu sehen, den Schmerz wahrnehmen, die Sehnsucht … und die Liebe … trotz allem so groß, trotz allem ungebrochen.
Noch mehr Tränen stiegen in ihr hoch, aber sie riss sich zusammen. Der Moment, da sie sich ihm nahe fühlte wie schon seit Ewigkeiten nicht mehr, währte nicht lange. Er ließ ihre Hand los, und sein Gesicht verschloss sich wieder.
»Ja«, erwiderte er mit belegter Stimme. »Ja, es ist wirklich besser, wenn du jetzt gehst.«
Als Claire nach Hause kam, war sie immer noch völlig durcheinander, aber nicht so verzweifelt, wie sie erwartet hatte. Sie hatte den ganzen Rückweg über geweint, fühlte sich nun jedoch nicht niedergeschlagen, sondern erleichtert.
Vielleicht würde sie Luis nie wiedersehen, vielleicht hatte sie mit ihren heftigen Worten einstige Wunden neu aufgerissen, und doch überkam sie kurz ein Gefühl von Frieden, wie sie ihn seit Ewigkeiten nicht mehr verspürt hatte.
Der Friede währte nicht lange. Sie war kaum bei der Quinta angekommen, als ihr jemand entgegenstürzte. Erst erkannte sie die junge Frau gar nicht, sah nur, dass sie einfache und
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