Die Rosen von Montevideo
Antonie, seine Frau.«
Rosa ließ Adeles Hand los und sagte zu Antonie, dass sie sich freute, sie kennenzulernen – wieder mit so starkem Akzent, dass Adele sie kaum verstand.
»Sie hat erst auf dem Schiff begonnen, Deutsch zu lernen«, erklärte Albert hastig, »doch sie ist sehr begabt.«
»Das hört sich aber nicht so an«, meinte Antonie mit üblich scharfem Spott. Sie ließ ihren Blick langsam und sichtlich abfällig über Rosa gleiten, doch während die ihre Verachtung nicht bemerkte, entging sie Adele keineswegs.
Sie mag sie auch nicht, stellte sie befriedigt fest.
Sie selbst weigerte sich weiterhin, auch nur ein einziges Wort zu sagen, doch Rosa schien nicht darauf zu warten. So selbstverständlich, wie sie Adeles Hand genommen hatte, umarmte sie Carl-Theodor, der es widerstandslos über sich ergehen ließ. Antonie war zwar nicht näher gekommen, aber Rosa lief einfach die Stufen hoch, um auch sie überschwenglich zu umarmen.
Adele sah, wie Antonie sich versteifte und sich rüde losmachte.
»Mir scheint, sie hat noch mehr zu lernen als nur die deutsche Sprache«, zischte sie.
Erst jetzt fand Adele die Sprache wieder. »Nun, liebste Antonie, willst du dich um deine neue Schwägerin kümmern? Nach der langen Reise braucht sie eine Stärkung, und außerdem muss ein Zimmer für sie vorbereitet werden. Ich sehe mich nicht in der Lage, mich darum zu kümmern. Das werdet ihr doch gewiss verstehen.«
Sie hatte kaum geendet, als sie schon nach oben in ihr Gemach floh, sich in ihr Bett legte und die Decke wieder hochzog. Wenn sie sich allerdings vorstellte, dass Rosa mit der spröden Antonie auskommen musste, fühlte sie sich nicht mehr ganz so krank.
Ehe Antonie Rosa und Espe nach oben gebracht hatte, hatte ihm seine junge Frau noch einen letzten Blick zugeworfen, der ebenso hilfesuchend wie ängstlich wirkte. Das fremde Haus und seine ihr nicht minder fremde Familie schüchterten sie sichtlich ein, doch als Albert ihr aufmunternd zugenickt hatte, war sie Antonie zu seiner Erleichterung sofort gefolgt. Er fühlte sich zwar für sie verantwortlich und hätte ihr den Anfang gerne leichter gemacht, aber in diesem Augenblick musste er allein sein, um seiner widerstrebenden Gefühle Herr zu werden.
Der allmächtige Vater war tot, das Begräbnis bereits vorbei und er selbst nicht zugegen gewesen. Albert konnte es kaum glauben und fühlte immer noch den strengen, abschätzigen Blick auf sich ruhen, als er langsam durchs Haus ging.
Es strahlte trotz des Reichtums seiner Familie Nüchternheit und wenig Individualität aus: Wie die meisten Villen im Westend war es ein breites, von der Straße zurückliegendes Gebäude mit Auffahrt und Freitreppe unter einem schützenden Balkon und einem sanft geneigten Dach. Hinter den hohen Fenstern reihte sich ein quadratischer Raum an den nächsten. Das Parkett glänzte, die Wände waren allesamt weiß oder grau, was die Zimmer gediegen und vornehm wirken ließ, aber zugleich kühl. Auf der Rückseite befanden sich Arkaden und ein englischer Garten mit alten Bäumen sowie ein Springbrunnen, dessen liebliches Plätschern irgendwie nicht in die steife Umgebung passte. Albert trat hinaus und sog den Geruch der Blumen und Hecken ein. Auch diese verhießen vor allem Strenge. Kein einziges Zweiglein konnte sich Wildwuchs erlauben, sondern wurde alsbald vom aufmerksamen Gärtner bezähmt.
Eigentlich lag ihm jene Nüchternheit und die Unaufgeregtheit, die dieses Anwesen verhieß, doch jetzt, da er erst ziellos durch den Garten schlenderte und dann wieder hineinging, fühlte er sich verloren. Das Haus des Vaters war jetzt sein Haus, die Bank seines Vaters jetzt seine Bank.
Zögernd betrat er das Arbeitszimmer seines Vaters im Erdgeschoss, wo alles so aussah, wie er es kannte, gleich so, als würde Albert Gothmann senior noch leben, jederzeit wiederkehren und sich an seinen akkurat geordneten Schreibtisch setzen. Albert strich geistesabwesend über die Geschäftsbücher. Sein Vater hatte ihm immer nur in seinem Beisein erlaubt, sie zu lesen, und sie zu öffnen, fühlte sich nahezu verboten an.
Der Vater war selbstverständlich davon ausgegangen, dass er nach seinem Ableben die Bank übernahm, doch insgeheim hatte er wohl Zweifel gehegt, dass Albert ein würdiger Erbe war, und hatte ihn seine Vorbehalte immer spüren lassen.
Das letzte Mal, als er hier gewesen war, hatte er mit seinem Vater gestritten. Die Aussicht auf das große Abenteuer hatte ihm den Mut verliehen, ihm zum
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