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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Aber das bedeutet nicht, dass du auf das Vergnügen verzichten musst. Geh du ruhig ins Wasser, ich vertreibe mir die Zeit inzwischen am Strand. Hier gibt es so viele schöne Muscheln, die ich gern sammeln würde.«
    Claire zögerte. Nicht zum ersten Mal traf Tabitha ein skeptischer Blick. Auch als sie Claire in den letzten Tagen nach deren Vergangenheit befragt hatte, hatte diese sie oft verwirrt angestarrt. Sie hatte zwar bereitwillig alles erzählt, was Tabitha wissen wollte – auch von dem Tag, an dem sie Luis kennengelernt hatte –, aber hinterher hatte sie immer ein wenig traurig gewirkt, vor allem verwundert, warum Tabitha, also Carlota, so neugierig war.
    Immerhin – sie sah keinen Zusammenhang zwischen deren Interesse an der Vergangenheit und ihrem plötzlichen Wunsch, schwimmen zu lernen, und bedrängte sie auch jetzt nicht weiter. Stattdessen legte sie ihre Kleider ab und stürzte sich in die Fluten. Ihr Gesicht war etwas faltig, und die Haare wiesen graue Strähnen auf, aber ihr Körper war immer noch so straff und sehnig wie in jungen Jahren. Tabitha staunte, als sie sah, mit welch kräftigen Stößen Claire hinaus ins offene Meer schwamm. Sie schien sich nicht daran zu stören, dass ihr der Wind das salzige Wasser ins Gesicht trieb, sondern tauchte zwischenzeitlich mit dem ganzen Kopf unter.
    Tabitha wartete eine Weile, bis der Kopf winzig klein geworden war, dann drehte sie sich um und hielt nach Antonio Ausschau. Seine beiden Schwestern tollten auf dem Strand herum – er selbst hatte den Vater erst unmerklich von ihnen fortgelenkt, um ihn nun wieder zurück in ihre Richtung zu lotsen.
    Als die beiden nahe genug an sie herangekommen waren, nickte Antonio ihr zu. Wieder lächelten sie sich kurz verschwörerisch an, dann setzte sie eine ernste Miene auf.
    »Señor!«, schrie sie und stürzte auf Luis zu. Sie sah ihn zum ersten Mal und war erstaunt, wie ähnlich sich Vater und Sohn waren, aber sie nahm sich nicht die Zeit, ihn ausführlich zu mustern.
    »Señor! Señor! Bitte helfen Sie mir!«
    Ihre Stimme war sehr schrill, doch was in ihren Ohren ein wenig übertrieben klang, alarmierte Luis sofort.
    »Was ist passiert, Niña?«, rief er und kam herbeigeeilt.
    »Meine Tante wollte ins Wasser gehen, um sich abzukühlen, doch dann ist sie von einer Strömung erfasst und ins offene Meer getrieben worden. Sie kann zwar schwimmen, aber ihre Kräfte reichen gewiss nicht aus, um wieder ans Ufer zu gelangen.«
    »Gütiger Himmel!«, stieß auch Antonio aus.
    Luis starrte hinaus aufs Meer. Erst entdeckte er den verschwindend kleinen Kopf nicht, doch dann stieß er einen besorgten Schrei aus.
    »Sie … Sie können doch schwimmen?«, stammelte Tabitha. »Ich bitte Sie – retten Sie meine Tante!«
    Anstatt zu antworten, hatte Luis schon seine Stiefel ausgezogen. Hastig schlüpfte er auch aus seiner Jacke und schleuderte sie Antonio vor die Füße. Ehe der etwas sagen konnte, stürzte er sich ins Wasser. Er war ebenfalls nicht mehr der Jüngste, aber seine Schwimmzüge fielen so kräftig aus wie die von Claire. Alsbald wurde auch sein Kopf kleiner und kam immer näher an den von Claire heran.
    Tabitha seufzte erleichtert. Der erste Schritt war getan – jetzt mussten sie abwarten.
    »Denkst du wirklich, sie versöhnen sich?«, fragte sie Antonio.
    Gebannt spähte er aufs Meer. »Wollen wir es hoffen.«
     
    Wie immer, wenn sie im Meer schwamm, hatte Claire das Gefühl, dass die Fluten sie von aller Last befreiten und sie reinwuschen. Die Kälte ließ ihren Körper anfangs erstarren, um danach das Blut noch heißer durch die Glieder zu jagen, sämtliche Bitterkeit zu vertreiben, mit der sie oft auf die Vergangenheit blickte, und auch die Hoffnungslosigkeit, wenn sie in die Zukunft sah.
    Sosehr die vielen anderen Erinnerungen geschmerzt hatten – nie hatte sie jene gequält, wie sie damals hinausgeschwommen und von Luis zurückgeholt worden war: Luis, der sie festgehalten und sich später für die irrige Annahme geschämt hatte, sie wäre am Ertrinken, Luis, der ihr verstohlene Blicke zugeworfen hatte, als sie sich wieder ankleidete, Luis, der …
    Sie war derart in Gedanken versunken, dass sie es kurz für eine Sinnestäuschung hielt, als nicht weit von ihr plötzlich Luis’ Kopf zwischen den Wellen auftauchte.
    Jetzt verliere ich endgültig den Verstand, dachte sie.
    Sie schloss die Augen, öffnete sie wieder. Der Mann war immer noch da, sah immer noch aus wie Luis und hatte auch seine Stimme. »Ich

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