Die Rosen von Montevideo
brennen. Eben trotzte dieser Blick dem von Luis, der nichts mit dem so beherrschten Mann gemein hatte, den Claire kannte.
»Der verfluchte Paraguayer …«, setzte er an.
Nie hatte Claire Luis so reden gehört – so erstickt, so zischend. Nie hatte sie erlebt, dass er sich von seinen Gefühlen so hinreißen ließ wie in diesem Augenblick, als er die Faust hob und auf Valentín losging.
»Gütiger Himmel, Luis!«, stieß sie aus. »Der Krieg ist beinahe zwanzig Jahre vorüber.«
»Er hat unser Glück zerstört! Er!« Luis’ Augen wurden schmal, als er Valentín erreichte, der hoheitsvoll den Kopf gehoben hatte, doch ehe er mit seinen Fäusten auf ihn einschlagen konnte, stellte sich Claire dazwischen: »Bist du von Sinnen?«
»Wenn du ihn nicht aus dem Gefängnis befreit hättest …«
»Eben!
Ich
habe es getan! Es war
meine
Entscheidung! Dafür kannst du ihm doch nicht die Schuld geben.«
»Aber er ist mit dir mitgekommen. Wie wenig Stolz muss man haben, um sich von einer Frau retten zu lassen?«
Valentín hatte bisher unbewegt zugehört und schien nicht gleich begriffen zu haben, wen er vor sich hatte. Doch nun hielt er Luis wütend entgegen: »Und wie wenig Stolz müssen Männer haben, auf einen Wehrlosen einzutreten. Wäre ich im Gefängnis geblieben, hättet ihr mich zu Tode gefoltert.«
»Ich … ich habe mich schützend vor Sie gestellt.«
»Und deswegen hätte ich aus Dankbarkeit dort verrotten sollen? Sie waren so dumm, sich von einer Frau überlisten zu lassen …«
»Weil ich sie geliebt habe! Und weil ich sie geheiratet hätte, wenn nicht dieser verdammte Krieg … diese verdammten Paraguayer …«
Seine Stimme brach, und Claire konnte es nicht fassen, wie er zunehmend seine Beherrschung verlor. Was darunter zum Vorschein kam, war ihr völlig fremd: So viel Verletzlichkeit war da, so viel Ohnmacht, so viel Enttäuschung. Doch sosehr sie das verstörte – zugleich war sie dankbar, dass sich jene Gefühle endlich entluden, anstatt immer nur verdrängt zu werden.
»Mein Land hat lange genug unter euch gelitten«, schrie Valentín, »ich muss mich dafür nicht auch noch beleidigen lassen.«
Auch er hob nun die Faust, und auch in ihm schienen lang unterdrückte Gefühle aufzubrechen, die Gefühle eines Mannes, der seine Heimat verlassen musste, um jahrzehntelang im einstigen Feindesland zu leben, immer auf der Hut, dass seine Herkunft nicht aufflog, immer genötigt, sich zu verstellen und sich seine Gedanken nicht anmerken zu lassen. Valeria versuchte, ihn ebenso zurückzuhalten wie Claire Luis, doch beide hatten keine Chance.
Die Streithähne entzogen sich ihren Griffen, gingen aufeinander los, und während sie sich prügelten, hörten sie nicht auf, sich wüste Beleidigungen an den Kopf zu werfen, die ihre Verbitterung über die vielen Versäumnisse und Enttäuschungen des Lebens zum Ausdruck brachten.
Irgendwann war Claire es leid, Luis’ Namen zu rufen, und sie duckte sich, um keinen Faustschlag abzubekommen. Valeria tat es ihr gleich und lief ein paar Schritte von den Raufbolden fort, doch ein anderer ging dazwischen: Antonio, der sich bis jetzt nicht eingemischt hatte, kam herbeigelaufen, um seinen Vater zurückzuzerren. Es gelang ihm nicht, so dass ihm nichts anderes übrigblieb, als sich vor ihn zu stellen und seine Schläge abzufangen. Luis und Valentín waren für ihn ebenso blind wie vorhin für Claire und Valeria, doch Antonio war kräftig, und kurz sah es wirklich so aus, als würde der Kampf zum Erliegen kommen.
In diesem Augenblick stürzte auch Carlota herbei … zumindest war sich Claire wie in den letzten Wochen sicher, dass es Carlota war.
Doch ehe sie ihr zurufen konnte, besser Abstand zu halten, sah sie, wie Valeria erbleichte und die Tochter gebannt anstarrte.
»Gütiger Himmel! Wer ist das?«
Claire hatte das Gefühl, die Welt wäre verrückt geworden. Luis und Valentín prügelten sich immer noch, und Antonio war von Valerias Aufschrei zu abgelenkt, um es zu verhindern. Ihr dämmerte, dass Carlota Tabitha war und Tabitha Carlota, und Valeria wiederum dämmerte, dass ihre zweite Tochter damals überlebt hatte, dass sie nun leibhaftig vor ihr stand und sie sie nur nicht erkannt hatte – wie sie jetzt fassungslos rief –, weil sie nach dem Erdbeben blind gewesen war.
Carlota … nein, Tabitha sah sie halb verlegen, halb schuldbewusst an, aber ehe Valeria zu ihr treten und sie noch genauer mustern konnte, war es Antonio doch noch gelungen, seinen Vater
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