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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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festgehalten, mit dem alten Leben zu brechen. Hatte sie es wirklich nur für ihn getan oder nicht vielmehr für sich selbst?, fragte sie sich jetzt. Um sich etwas zu beweisen – nämlich dass sie Albert und Rosa und alle anderen nicht brauchte?
    Insgeheim wusste sie, sie hatte es aus einem ganz anderen Grund getan, und der rührte an einem so tiefen Schmerz, dass sie sich ihm nicht stellen konnte – auch jetzt nicht.
    Sie lief weiter und trat in eine Pfütze. Der Geruch nach Tabak hing in der Luft und auch der nach nassem Stoff und gegerbtem Leder. Sie musste in der Nähe der vielen Fabriken und Textilwerkstätten am Hafen sein, wo verschiedene Sorten Ponchos hergestellt wurden, Karren aus gutem Holz, Zigarren und Zigaretten, Leder und Schuhe. Einmal hatte sie selbst eine Zeitlang in so einer gearbeitet, um sich und ihre Familie über Wasser zu halten, aber das Geld hatte trotzdem nicht ausgereicht.
    »Valeria!«
    Eine Stimme drang in die Dunkelheit, gefolgt von lauten Schritten. Valentín war ihr nachgelaufen und holte sie nun ein. Sie fühlte, wie seine Hand nach ihr griff. So wie vorhin wehrte sie sich gegen ihn, doch diesmal hielt er sie fest.
    »Valeria, was ist nur mit dir los?«, rief er und klang nicht nur befremdet, sondern auch verzweifelt. »Was ist so schlimm daran, dass ich bei Claire war? Warum kannst du deinen verdammten Stolz nicht einmal beiseiteschieben und um Hilfe bitten?«
    Sie rang um Fassung, aber die lange Blindheit hatte sie zermürbt und ihre Flucht von zu Hause erschöpft. »Lieber Himmel, es ist doch nicht mein Stolz!«, brach es aus ihr hervor.
    »Was, zum Teufel, denn dann?«
    Sie biss sich auf die Lippen, aber sie ahnte – sie würde das Geheimnis nicht länger wahren können. Vielleicht war das auch gut so. All die Jahre, das erkannte sie jetzt überdeutlich, hatte es an ihrer Seele gefressen. Nun schien kaum mehr etwas von dieser Seele da zu sein, und um das wenige zu retten, blieb ihr keine andere Wahl, als schonungslos ehrlich zu sein.
    Sie war froh, dass sie nicht in sein Gesicht sehen musste, als sie stammelte: »Ich habe nie um die Hilfe meiner Familie gebeten, weil ich sie nicht verdiene.«
    Er schnaubte. »Unsinn! Warum solltest du sie nicht verdienen? Weil du mich liebst, obwohl ich zu deinen Entführern gehörte und obendrein aus einem Feindesland stamme?«
    Sie schüttelte den Kopf. Neue Tränen stiegen ihr in die Augen, und diesmal konnte sie sie nicht zurückhalten.
    »Nein, es hat nichts mit dir zu tun. Sondern mit unserer … unserer …« Sie konnte es kaum sagen. »Mit unserer Tochter«, stieß sie schließlich heiser hervor, ehe sie in lautes Schluchzen ausbrach.
    »Aber gerade um Carlotas willen …«, setzte er an.
    »Ich meine doch nicht Carlota!« Sie schwieg kurz, atmete tief durch und wartete, bis das Schluchzen nachließ. Nach einer Weile bekannte sie etwas ruhiger: »Ich meine das zweite Mädchen, das ich damals geboren habe. Ich habe es dir nie erzählt, weil ich dachte, es wäre besser so. Dieses Kind war so schwach. Alle waren sich sicher, dass es die nächsten Stunden nicht überleben würde, und darum habe ich es bei Claire gelassen. Ich wusste, wenn ich bliebe und darauf wartete, dass es starb, würde ich dich nicht mehr einholen. Ich habe es kein einziges Mal in den Arm genommen, ich habe es nicht einmal richtig angesehen. Ich brachte es einfach nicht übers Herz, aber hinterher fühlte ich mich so schäbig. Was bin ich nur für eine schlechte Mutter, die ihr Kind im Stich lässt! Was nützte es, dass Claire und Espe da waren – ich hätte da sein müssen, aber ich war es nicht! Vielleicht ist es meine gerechte Strafe, dass ich nun blind bin, vielleicht ist alles eine Strafe …«
    Wieder schluchzte sie auf und konnte nicht mehr weiterreden. Sie spürte, wie Valentín sie fassungslos anstarrte, wie langsam Verstehen in ihm reifte. »Zwillinge? Du hast damals Zwillinge geboren?«
    »Es war schwer genug mit einem – wie hätten wir ein kränkliches Kind durchbringen sollen? Seit Jahren versuche ich, mich so zu rechtfertigen. Doch ich weiß ganz genau – ich bin eine schlechte Mutter. Sonst wäre auch Carlota nicht vor mir davongelaufen.«
    »Sag so etwas nicht!«, widersprach er heftig. »Du warst die zärtlichste Mutter, die man sich nur vorstellen kann. Du hast alles getan, um sie zu beschützen und ihr ein gutes Leben zu ermöglichen.«
    »Nein, nicht alles. Ich habe mir so viel verwehrt, weil ich dachte, ich müsste einen Preis zahlen,

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