Die Rosen von Montevideo
zurückzuzerren. Dieser wollte jedoch nicht aufgeben, wehrte sich erbittert gegen den Sohn und trat wild um sich. Erst traf sein Fuß nur Luft – dann mit aller Wucht Tabitha.
»Vater!«, schrie Antonio entsetzt.
Endlich kam Luis zur Räson, versteifte sich und blickte ein wenig verwirrt um sich, als käme er nach einem Zustand von Besessenheit langsam wieder zu sich. Auch Valentíns Fäuste entkrampften sich.
Carlota jedoch … nein, vielmehr Tabitha krümmte sich und strich sich mit schmerzverzerrtem Gesicht über den Bauch.
»Das wollte ich nicht«, stieß Luis aus. Er versuchte, sie zu stützen, aber ehe er sie erreicht hatte, fiel sie auf die Knie.
»Mein Kind …«, klagte sie, »ich bekomme doch ein Kind.«
40. Kapitel
C arlota bereute noch am selben Abend, was sie getan hatte. Warum nur, haderte sie mit sich, hatte sie sich nur wieder einmal von ihrer Wut hinreißen lassen, ihre Sachen gepackt, den Brief geschrieben und das Haus verlassen, anstatt nüchtern zu überlegen, was sie tun sollte? Gleiche Wut hatte sie oft im ärmlichen Alltag bei Valeria und Valentín überkommen, doch damals hatte es nicht viel gegeben, das sie zerstören konnte, bot das Leben doch nahezu nichts.
Nun aber hatte sie mit einem Schlag die mühsam errungenen und so genossenen Annehmlichkeiten aufgegeben, und zur Wut gesellte sich Furcht.
Vom Haus aus war sie zunächst ins kleine Gartenhäuschen geflohen, aber dort war ihr rasch kalt geworden, und das Zittern ihres Körpers war nicht gerade hilfreich, wenn es zu entscheiden galt, was sie nun tun sollte. Gewiss, sie könnte zu Nicolas nach Frankfurt gehen, aber der Weg dorthin war – insbesondere bei Nacht und Kälte – weit, und überdies wollte sie ihm nicht mit dem Eingeständnis gegenübertreten, dass sie sich vorschnell von ihren Großeltern losgesagt hatte, nun aber keinen Plan hatte, wie es weitergehen sollte. Ebenso wenig wollte sie ihn demütigen, indem sie ihm offen ins Gesicht sagte, dass ihr Großvater ihn nicht als geeignete Partie betrachtete. Das konnte er sich zwar auch selbst denken, aber ihr widerstrebte es, ihm solcherart die Verantwortung für ihr Leben aufzubürden und ihre zarte Liebe mit der Last ihres Opfers zu beschweren.
So verging Stunde um Stunde, in der sie zitternd auf und ab ging. Es wurde kälter, der Himmel schwärzer und ihre Sehnsucht nach ihrem gemütlichen Zimmer immer größer. Kurz war sie geneigt, ihren Trotz hinunterzuschlucken und Abbitte zu leisten, aber wann immer sie das Gespräch mit ihrem Großvater heraufbeschwor, erwachte ihr Stolz. Nein, sie konnte nicht klein beigeben!
Mit der Zeit sehnte sie sich nicht nur nach wohliger Wärme und Geborgenheit, sondern auch nach ihren Eltern. Gewiss, sie hatte sich so oft über sie geärgert, aber nun ahnte sie, was ihre Mutter angetrieben hatte, als die sich von ihrer Familie losgesagt hatte. Niemals, so war sie sich sicher, würde jemand wie Valeria auf einen Mann nur wegen seines niederen Rangs in der Gesellschaft herabblicken – im Gegenteil. Sie selbst hatte der Liebe zu ihrem Vater alles geopfert, und was Carlota bislang als Riesendummheit erschienen war, deren Zeche nicht zuletzt sie selbst zu bezahlen hatte, erschien ihr nun plötzlich heroisch und vorbildlich.
Nein, so schnell würde sie sich, die Tochter ihrer Eltern, nicht geschlagen geben!
Als der Morgen graute, zitterte sie noch immer, fasste aber einen Entschluss, und nachdem sie sich mehrmals umgeblickt hatte, verließ sie das Gartenhaus und machte sich in Richtung Stall auf. Sie wusste, dass die Dienstboten allesamt ihren Großeltern treu ergeben waren – aber bei einem konnte sie darauf hoffen, dass seine Bewunderung für sie die Loyalität gegenüber den Gothmanns übertraf: Moritz, der Kutscher, der sie stets hingerissen ansah, wann immer er ihr begegnete. Insgeheim fand sie, dass er mit seinen Glupschaugen einem Frosch glich, aber es hatte ihr stets geschmeichelt, mit welch schwärmerischem Unterton er ihren Namen Tabitha aussprach.
Der Schnee dämpfte ihre Schritte, bei jedem Atemzug stieg eine graue Wolke von ihrem Mund hoch. Im Stall war es etwas wärmer, und während sie noch ihre Hände aneinanderrieb und darauf hauchte, hatte sie Moritz schon entdeckt.
»Fräulein Tabitha!«, rief er begeistert.
Einmal mehr glich er einem Frosch, doch das hielt sie nicht davon ab, ihr hinreißendstes Lächeln aufzusetzen.
»Kannst du die Pferde anspannen lassen?«
»Sie wollen so früh am Morgen schon weg?«, gab
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