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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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gemacht, als sähe sie alles zum ersten Mal. Meist schien sie gar nicht zu wissen, wen sie gerade vor sich hatte.«
    »Was willst du damit sagen?«, fragte Albert unwirsch. »Dass sie den Verstand verloren hat?«
    Rosa hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Vielleicht hast du recht«, murmelte sie, »sie wirkte oft so weggetreten. Aber das hat wohl mit dem Erdbeben zu tun. Und mit ihrer Kopfverletzung.«
    »Tja, wenn es das ist …«, meine Else vielsagend.
    »Was könnte es auch sonst sein?«
    Rosa rief sich die vergangenen Monate ins Gedächtnis, und ja, es stimmte, Tabitha hatte sich verändert. Als Kind war sie so anhänglich und liebebedürftig gewesen, nun gab sie sich meist distanziert und wortkarg. Allerdings – gehörte das nicht zum Erwachsenwerden dazu? Und war es nicht das Wichtigste, dass sie wieder ganz gesund geworden war?
    »Nun, im Moment hat es wenig Sinn, dass wir uns darüber den Kopf zerbrechen«, schaltete sich Albert ein. »Es zählt allein, dass wir sie so schnell wie möglich finden.«
    »Ich glaube, da könnte ich helfen«, meinte Else.
    »Weißt du, wo sie ist?«
    »Nein, aber so merkwürdig, wie er sich verhält, mein Sohn Moritz.«
     
    Laurent ließ Nicolas nicht aus den Augen. Er hatte sich vermeintlich nachsichtig erwiesen und die letzten Tage nicht mehr nachgebohrt, ob der Sohn Gefühle für Tabitha Gothmann hegte, aber er lag ständig auf der Lauer – und hatte, wie sich nun herausstellte, gut daran getan, ihm zu misstrauen.
    Eben beobachtete er, wie Nicolas unten mit einem Kutscher sprach. Der trug eine Livree mit Goldknöpfen – ohne Zweifel ein Zeichen, dass er für sehr feine Leute arbeitete –, doch als Nicolas wenig später nach oben in ihre kleine Mietwohnung in der Nähe des Römers zurückkehrte, sagte er kein Wort. Er wirkte abwesend, und Laurent hätte schwören können, dass jener Kutscher ihm eine Nachricht von Tabitha überbracht hatte.
    Er fluchte insgeheim auf seinen Sohn, weil der ihn nicht einweihte, gab sich nach außen jedoch gelassen und verhielt sich so, als hätte er nichts Ungewöhnliches bemerkt. Geduldig wartete er bis zum Abend, bis Nicolas in die Oper aufbrach, und durchstöberte seine Sachen erst, als die Tür ins Schloss fiel.
    Nicolas ist wirklich ein Narr, dachte er, als er den Brief fand – in einer der obersten Schubladen, nicht einmal ordentlich unter der Wäsche versteckt.
    Hastig überflog er die Zeilen – und sah sich prompt bestätigt. Tatsächlich, die Nachricht stammte von Tabitha Gothmann, und mit jedem Wort, das er las, wurde Laurents Lächeln breiter. Also hatte sein anonymes Schreiben an Albert Gothmann Erfolg gehabt: Der Großvater hatte sich mit dem Mädchen entzweit, dieses war kopflos aus dem Haus geflohen und verriet sogar seinen derzeitigen Aufenthaltsort – eine Jagdhütte in der Nähe von Falkenstein.
    Laurent ließ das Schreiben sinken. Dort würde er freie Bahn haben.
    Er konnte seine Ungeduld nicht länger bezähmen, sondern entschied sich, sofort zu handeln, zumal Nicolas nicht hier war, und ging hastig in sein eigenes kleines Zimmer. Er selbst hatte für seine Pistole ein besseres Versteck ausgesucht als Nicolas für den Brief: Sie lag nicht in einer der Schubladen, sondern unter einer losen Holzdiele.
    Eine Weile betrachtete er sie mit einem Anflug von Befremden. Als Musiker hatte er nicht oft Waffen in den Händen gehalten, wenngleich er den Gebrauch von dieser genau gelernt hatte, und kurz fragte er sich, ob es eine ähnliche Pistole war, mit der sein Vater den Tod gefunden hatte. Er versuchte, dessen Gesicht heraufzubeschwören, doch es gelang ihm nicht. Das Einzige, was er ganz deutlich vor seinem inneren Auge sah, war seine Mutter, deren leidender Ausdruck einem immer stumpfsinnigeren gewichen war, während sie jahrelang vergebens auf Fabien und ein besseres Leben wartete.
    Er zuckte zusammen, als er plötzlich hinter sich ein Knarzen vernahm. »Vater … Vater, was tust du denn da?«
    Nicolas stand hinter ihm und wurde kreidebleich, als er die Pistole erblickte.
    Laurent unterdrückte ein Seufzen. »Warum, zum Teufel, bist du schon wieder zurück? Du solltest doch längst in der Oper sein!«
    »Ich habe etwas vergessen, aber …«
    Laurent ließ sich sein Unbehagen nicht anmerken, sondern trat auf seinen Sohn zu, doch zu seinem Erstaunen wich dieser nicht zurück. Es steckte mehr Mumm in seinen Knochen, als er gedacht hatte.
    »Aus dem Weg!«, befahl er streng.
    »Gütiger Himmel, was hast du

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