Die Rosen von Montevideo
hervor. »Dafür ist jetzt keine Zeit! Tabitha befindet sich in höchster Gefahr.«
Albert ließ endlich seinen Kragen los, während Rosa ihn zunehmend entsetzter musterte. »Was … was … meinen Sie?«, stammelte sie.
Nicolas senkte seinen Kopf. »Ich habe hier in Frankfurt immer einen falschen Namen angegeben. Mein richtiger ist … Ledoux. Nicolas Ledoux.«
Albert schien verwirrt, aber Rosa war es, als würde sie einen schmerzhaften Schlag erhalten.
»Fabien …«, stammelte sie. »Sie sind mit Fabien verwandt?«
»Er war mein Großvater … Ich habe ihn nie kennengelernt, aber mein Vater hat sein Leben lang unter dem Verlust gelitten. Er … er hat das alles eingefädelt. Und jetzt ist er auf dem Weg zu Tabitha …«
Er atmete tief durch, und einige wirre Worte später hatte er die ganze Wahrheit offenbart. Tabitha war in die Jagdhütte geflohen, und Laurent, der auf Rache aus war, wusste das.
Albert stöhnte auf. Eben noch hatte er Nicolas geschüttelt wie ein junger Mann, nun wirkte er plötzlich alt und gebeugt.
Die Wut und Verbitterung wegen seiner einstigen Tat hatten Rosas Herz so lange zerfressen; selbst nach der Versöhnung hatte sie sich ihm nicht ganz öffnen können und dann und wann einen Anflug kalten Hasses empfunden. Doch als sie ihn nun betrachtete, überkam sie einfach nur Mitleid. Sie selbst hatte sich beim Gedanken an Fabien stets schrecklich schuldig gefühlt und gemeint, sie müsste sich bestrafen, indem sie ihre Lebendigkeit und Fröhlichkeit unterdrückte. Doch erst jetzt erkannte sie, dass Albert sich nicht einfach ins Reich der Zahlen und an seinen sicheren Schreibtisch hatte flüchten können, sondern seine Tat auch an ihm genagt und ihm schlaflose Nächte bereitet haben musste.
»Gütiger Himmel!«, stießen sie wie aus einem Mund aus.
Hilflos blickten sie sich an.
Nicolas wandte sich an Rosa. »Ich weiß nicht, was damals vorgefallen ist. Scheinbar hat mein Großvater Sie geliebt und auf eine Zukunft mit Ihnen gehofft …«
Rosa schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Ja, gewiss, er hat für mich geschwärmt; er war auch sehr vom Leben angetan, das er hier führen konnte. Aber für mich war er ein Freund, nichts weiter.«
»Ein Freund?«, brach es aus Albert hervor. »Nur ein Freund? Du hast nie mit ihm …?«
»Nein«, gab Rosa unumwunden die Wahrheit zu, die sie so lange gehütet hatte, um Albert zu quälen. »Ich hatte nie eine Affäre mit ihm. Er war für mich da, als ich mich einsam fühlte, aber du warst der Mann, den ich wollte. Ich habe dich geliebt – niemals ihn. Ich war ihm nur dankbar dafür, dass er mir die Lebensfreude wieder schenkte …«
»Die du an meiner Seite eingebüßt hast«, murmelte Albert tonlos. »Aber warum hast du mir das nie gesagt?«
Rosa sah ihn traurig an. »Weil du deine eigenen Schlüsse gezogen hast. Weil du mich nie gefragt hast, was genau mich mit ihm verbindet. Du warst in deiner Eifersucht sogar bereit, dich mit ihm zu duellieren. Und danach …«
Sie sprach nicht weiter. Und danach haben wir nie wieder offen darüber geredet, selbst nach unserer Versöhnung nicht, fügte sie in Gedanken hinzu.
Rosa fragte sich, wen sie damit mehr bestraft hatte – sich selbst oder ihn. In jedem Fall stieg bittere Reue hoch, weil sie sich so vieler Jahre beraubt hatten – Jahre, in denen sie mehr hätten sein können als nur zufriedene Großeltern, die die Fürsorge der Enkeltochter einte, nämlich … Liebende wie einst.
»Das ist doch jetzt alles nicht so wichtig«, rief Nicolas dazwischen. »Wir müssen sofort zur Jagdhütte, um Schlimmes zu vermeiden.«
Albert nickte und sagte an Moritz gerichtet: »Du bringst uns sofort dorthin.«
»Bring mir Muff und Mantel!«, befahl Rosa ihrerseits Else.
»Rosa, du solltest besser hier …«
»Denk gar nicht erst daran, mir zu verbieten, mitzukommen.«
Zielstrebig eilte sie nach draußen, und Albert blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.
Als sie durch den Schnee stapfte, tat ihr die Brust alsbald von der eisigen Luft weh. Trotz des Muffs schmerzten ihre Hände. Ich bin zu alt für so viel Aufregung, ging es ihr durch den Kopf, aber sie schob den Gedanken zur Seite.
Irgendwann konnte sie ihr bequemes, langweiliges Leben fortführen, jetzt zählte nur Tabitha. Hastig bestiegen sie die Kutsche, und Moritz sprang auf den Bock, um die Pferde anzutreiben.
So unverzüglich sie auch aufgebrochen waren – der Weg zur Jagdhütte kam Rosa unendlich lang vor, zumal es
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