Die Rosen von Montevideo
es keine Dichter wie hierzulande. Gewiss haben Sie auch noch nichts von Schiller, Hölderlin und Novalis gehört.«
In Rosa erwachte bei aller Verlegenheit Trotz. Sie hatte oft erlebt, dass ihre Tanten über andere Frauen lästerten, doch nie hätten sie ihren Spott mit ihr getrieben. »Ich muss mich erst hier einleben«, murmelte sie.
Zumindest eine der Damen hörte endlich zu lachen auf: »Die Loge der Koch-Gontards steht Freunden der Familie jederzeit offen. Vielleicht haben Sie einmal Lust auf einen Opernbesuch?«
Ehe Rosa etwas sagen konnte, schaltete sich wieder Antonie von Birkenstock ein: »Ich fürchte, die neue Frau Gothmann hat keine Ahnung von der Oper.«
»Nun lass sie doch in Ruhe. Beim letzten Mal, als die Herzogin von Kent hier zu Besuch war, hat sie auch einen Opernbesuch abgelehnt. Nicht jedem liegt Musik so am Herzen wie dir.«
»Wer ist denn nun schon wieder die Herzogin von Kent?«
Rosa hatte die Frage ganz leise an Antonie gerichtet, aber die antwortete für alle laut und vernehmlich: »Du weißt nicht, wer die Herzogin von Kent ist? Sie besucht jeden Sommer die Koch-Gontards. Sie wird überall für ihren Stil und ihre Bildung gerühmt. Hier herrscht regelrecht ein Krieg, wer sie bewirten darf.«
Abermals fühlte Rosa befremdete Blicke auf sich ruhen, und sie schwieg beschämt und lauschte den Gesprächen. Erneut fielen Namen, die sie noch nie gehört hatte, aber sie gab sich nicht noch einmal die Blöße, nachzufragen. Erst nach einer Weile kam die Rede auf eine Spitzenmanufaktur, und auch wenn sie sich nie sonderlich für Geschäfte interessiert hatte, erschien ihr dies nicht als gar so fremdes Terrain wie die Oper oder die Literatur. Um endlich wieder etwas zum Gespräch beitragen zu können, erklärte sie: »Mein Bruder Julio handelt ebenfalls mit Stoffen. Er importiert sie aus Leiden in Belgien.«
Sie wusste nicht, wo Belgien lag, aber sie war stolz, den Namen des Landes zu kennen.
Doch wieder wurde ihr nur mit spöttischem Gelächter geantwortet. »Sie denken, Clotilde handelt mit Stoffen – wie köstlich!«
»Aber Sie haben doch gerade eine Manufaktur erwähnt!«
»Nun ja, Clotilde hat diese tatsächlich gegründet – allerdings nur, um den armen Frauen aus den Taunusdörfern Arbeit zu geben. Es geht nicht um Geschäfte, sondern um Wohltätigkeit. Haben Sie sich schon überlegt, wo Sie sich engagieren werden?«
Rosa zuckte betreten mit den Schultern und nahm hastig einen weiteren Schluck Champagner. Vorhin hatte das prickelnde Gesöff sie belebt, nun wurde ihr immer heißer und schwindliger. Sie trat von den Frauen weg und hielt Ausschau nach Albert, doch der hatte weiterhin keine Augen für sie.
Zögerlich wollte sie an Antonies Seite zurückkehren, aber dann vernahm sie, wie diese einer ihrer Freundinnen zuraunte: »Ich habe keine Ahnung, warum Albert ausgerechnet sie geheiratet hat – und das so überstürzt.«
»Wahrscheinlich bereut er es längst«, erwiderte die andere. »Sie ist strohdumm wie eine Küchenmagd.«
Antonie grinste. »Ach, seid doch ein wenig nachsichtig. Seit wann begehren Männer geistreiche Frauen?«
»Trotzdem – dein Schwager ist ein angesehener Bankier und überaus kultiviert. Es muss ihm peinlich sein, mit so einer Frau in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Kein Wunder, dass er sich ihrer nicht annimmt.«
»Und ihr Vater soll Kaufmann sein? Pah! Wahrscheinlich ist er ein Viehhändler, der die Kühe eigenhändig über die Weide treibt.« Auf schrilles Lachen folgte Kopfschütteln. »Es haben sich doch so viele Damen für Albert interessiert.«
»Die wollte er nun mal alle nicht haben.«
»Arme Antonie. Es wird Jahre dauern, bis du ihr das Wichtigste beigebracht hast.«
Zuerst war Rosa tief beschämt und verletzt und hätte sich am liebsten in einem dunklen Winkel verkrochen. Doch als Antonie kalt lachte, erwachte plötzlich blanke Wut. Sie verstand nicht recht, warum sie das getan hatte – aber sie zweifelte nicht daran, dass Antonie sie mit ihrer Aufforderung, ganz sie selbst zu sein, absichtlich in die Irre geführt hatte.
Sie wusste, es wäre klüger gewesen, die Kränkung zu schlucken, aber sie hatte zu viel getrunken, um den ohnmächtigen Zorn zu bändigen.
Sie stürzte auf Antonie zu, umkrallte ihren Arm und zog sie mit sich. »Wie konntest du nur?«, platzte es aus ihr heraus.
»Wie konnte ich was?«, fragte die Schwägerin gedehnt.
»Wie konntest du zulassen, dass ich mich bloßstelle?«
»Das hast du ganz allein
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