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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Speisekammer führte. Steintöpfe und Fässer standen dort randvoll mit Vorräten gefüllt, außerdem Krüge mit Most und Kästen mit Brot. Auf Schnüren hing geräucherter Schinken, auf einem Rost lag Backobst. Es roch durchdringend nach Majoran und Zwiebel – beides offenbar Zutaten einer frisch gebackenen Pastete.
    Rosa sog den Duft ein. Er war ihr fremd, aber dennoch wohltuend, kündete er doch von einer schlichten Welt, in der sich froh schätzt, wer sich den Magen vollschlagen kann und nicht mehr vom Leben fordert. Erstmals bekam sie wieder etwas Appetit, und unwillkürlich streckte sie die Hände aus, berührte ein paar Kohlköpfe und Möhren und glaubte, das erste Mal seit langem wieder etwas Gefühl in den tauben Fingerspitzen zu haben. Eine Weile blieb sie in der Speisekammer stehen, dann ging sie nach oben, um das Treiben in der Küche zu beobachten. Obwohl Albert nicht zum Abendessen zurückerwartet wurde, Carl-Theodor nach Südamerika gereist war und Antonie, Adele und sie selbst nur wie Vögelchen aßen, wurde ein üppiges Mahl bereitet: In einer zinnernen Schüssel wurde Kartoffelteig für Klöße geknetet, in einer eisernen Pfanne Fleisch gebrutzelt, in einer Pfannkuchenpfanne ein Omelett geschwenkt, und in einem Schüsselchen wurden mit eisernem Mörser Gewürze gemahlen. Jetzt im Frühling galt es, die Reste von Wintervorräten aufzubrauchen, so das Kirsch- und Pflaumenmus oder eingelegte Gurken, Sauerkohl und Heringe. In die Suppe kam ein Schuss Branntwein, den man aus Kartoffeln gebraut hatte, und in die Rouladen eine Mischung aus Karotten, Sellerie, Senf und Petersilie, die man im Herbst in Kisten mit Sand gesetzt hatte.
    Rosa konnte sich nicht erinnern, dass sie in Montevideo jemals die Küche betreten und beim Kochen zugesehen hatte. In jedem Fall belebte sie der Anblick der Köche wie der Geruch in der Speisekammer. Ewig hätte sie hier verharren können – an einem Ort, wo jeder beschäftigt war, wusste, was er zu tun hatte, und keine Zeit blieb, trübsinnigen Gedanken nachzuhängen. Hier pulsierte das wirkliche Leben – während sie selbst die letzten Monate in einem dunklen Traum gefangen gewesen war.
    Sie hatte die Küche so lautlos betreten, dass es eine Weile dauerte, bis man sie bemerkte. Dann aber hielten alle inne und senkten den Blick. Keiner wagte es, sie anzusprechen, stattdessen wurde hastig Frau Lore geholt. Sie war, wie Rosa mittlerweile wusste, nicht nur die Haushälterin, die alles überwachte, sondern auch Adeles Vertraute und überdies die einstige Amme von Carl-Theodor, die – wie so viele ihresgleichen – bei der Familie geblieben war und neue Aufgaben übernommen hatte, nachdem er entwöhnt worden war.
    Anders als der Rest wirkte sie von Rosas Gegenwart nicht eingeschüchtert, sondern fragte mit freundlichem, offenem Blick: »Haben Sie einen Wunsch – vielleicht etwas zu essen oder zu trinken?«
    Nein, dachte Rosa, ich will einfach nur nicht allein sein …
    Das wagte sie natürlich nicht laut zu sagen. »Kann ich mich hinsetzen?«, fragte sie und deutete auf den breiten Nussholztisch. Die Köchin hatte hier eben Teig geknetet, doch weiter oben war ein Plätzchen frei.
    Falls Frau Lore von diesem ungebührlichen Ansinnen befremdet war, zeigte sie es nicht. Sie wies einladend auf einen Stuhl. »Aber natürlich!«, rief sie und klatschte in die Hände – für die anderen das Zeichen, weiterzuarbeiten.
    In der nächsten Stunde traf Rosa dann und wann ein verstohlener Blick. Niemand ließ ihretwegen erneut die Arbeit ruhen, aber die meisten bemühten sich, dabei einen möglichst weiten Kreis um sie zu ziehen. Nur eines der Hausmädchen, das von oben kam, überwand schließlich die Scheu.
    Offenbar war die junge Frau nicht in der Küche beschäftigt, denn sie trug ein schwarzes Kleid und darüber eine gestärkte weiße Schürze. Zu Rosas Überraschung verlangte sie einen Laib altes Brot, den sie neben ihr auf dem Tisch aufschnitt.
    »Was machst du denn da?«, fragte Rosa. »Sind das etwa Almosen für arme Leute?«
    Das Mädchen lachte auf. »Nein, damit werden die verschmutzten Tapeten abgerieben. Es gibt kein besseres Mittel, um sie zu säubern.«
    »Das ist aber merkwürdig!«
    »Ach, ich mag es eigentlich, die Tapeten abzureiben«, erklärte das Mädchen freimütig. »Man bekommt keinen krummen Rücken davon. Gestern haben wir die Dielen gescheuert – mit Sand und Salmiak, mir tun noch heute die Knie davon weh.« Sie lachte abermals auf. »Es ist immer so

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