Die Rosen von Montevideo
viel zu tun, wenn der Frühlingsputz ansteht.«
Rosa bekam ein schlechtes Gewissen, weil sie so gar nichts davon bemerkt hatte. Sie kam sich schrecklich unnütz vor. Die Hände des Mädchens waren gerötet und rauh, ihre eigenen hingegen schneeweiß. Gewiss, Adele und Antonie hätten dies als Zeichen ihrer vornehmen Stellung gewertet, aber kurz wünschte sich Rosa, sie könnte beweisen, dass Kraft und Leben in ihr steckten – und sei es durch harte Arbeit.
»Wie heißt du denn?«, fragte sie das Mädchen neugierig.
»Eigentlich Toni, aber hier nennen mich alle Else.«
»Warum das denn?«
»Wenn eine Dienstmagd den gleichen Vornamen wie ein Familienmitglied trägt, dann wird sie wie die Vorgängerin gerufen. Und da Frau Antonie so heißt, heiße ich eben wie die alte Else, deren Rücken irgendwann so krumm war, dass sie mehr Last als Hilfe war.«
Rosa runzelte die Stirn. Wie schrecklich, dem Mädchen seinen Namen zu rauben!
Doch die fand es nicht sonderlich schlimm. »Nun, eigentlich heiße ich lieber Else als Toni. In unserem Dorf gibt es eine andere Toni, müssen Sie wissen. Sie ist ein schrecklich dickes, hässliches Mädchen. Ich frage mich, was aus ihr geworden ist …«
Sie plapperte eine Weile fort, und Rosa hörte nicht länger zu, sondern genoss einfach nur den Klang dieser hohen Stimme und jenen Wasserfall an Worten, die nichts mit ihrem Elend zu tun hatten. Am Ende lachte Else wieder auf – und Rosa stimmte ein, ohne den Grund zu kennen.
Alsbald verstummte sie, denn Frau Lore betrat erneut die Küche, und nachdem Else hastig den Teller Brot nahm und nach oben trug, zog sich auch Rosa zurück. Von nun an war sie jedoch fast täglich in den Wirtschaftsräumen oder der Küche. Insbesondere Elses Nähe suchte sie, um ihr beim Arbeiten zuzusehen und den vielen Geschichten von deren Kindheit in Hofheim zu lauschen.
Else war flink und wendig und mochte es am liebsten, im Freien zu arbeiten. Bis jetzt hatte Rosa den Garten meist gemieden. Die Hecken und Wiesen waren so streng beschnitten, das sie nie recht wusste, wohin sie ihren Fuß setzen durfte. Doch nun leistete sie Else Gesellschaft, als diese Blumen pflanzte: Mit einer Harke schlug sie Löcher in den noch kalten Boden und setzte einen Samen in jedes. Anfangs sah Rosa ihr nur dabei zu, aber dann musste sie an ihre Mutter Valeria denken, die Blumen so sehr geliebt hatte und in Montevideo vergeblich versucht hatte, Rosen zu pflanzen.
»Kann ich dir helfen?«, fragte sie.
Else sah sie kurz verwirrt an. Zwar war sie mittlerweile an die stete Gesellschaft der Hausherrin gewöhnt, wirkte dennoch befremdet, dass sich diese ihre Hände schmutzig machen wollte.
»Ihr schönes Kleid könnte Flecken abbekommen!«, wandte sie ein.
»Ach, ich habe so viele davon!«, rief Rosa. Prompt kniete sie sich ins Blumenbeet und vergrub die Hände in der Erde. Obwohl der Frost bald in all ihren Gliedern saß, vermeinte sie kurz, den Pulsschlag von Mutter Erde zu spüren – und der wirkte beruhigend und heilend. Am Abend hatte sie schwarze Ränder unter den Fingernägeln, rote Wangen und das Gefühl, die Welt sei so strahlend wie an jenem Tag, als sie Albert Montevideo gezeigt hatte.
Täglich drängte es sie nun in den Garten – am liebsten zu den Rosenbüschen. Else zeigte ihr, wie man sie beschnitt und pflegte, und Rosa packte begeistert mit an, obwohl sie sich auf diese Weise viele Kratzer auf ihren Händen zuzog. Albert fiel es eines Tages auf, als er sie im Schlafgemach besuchte.
»Um Gottes willen, was hast du denn damit gemacht?«, rief er.
»Mit einem Kätzchen gespielt«, flunkerte sie und musste über sein verwirrtes Gesicht lachen. Es klang glockenhell wie früher, und seine Verwirrung machte Erleichterung und Freude Platz, dass er dem Mädchen wiederbegegnete, das er geheiratet hatte. Sie liebten sich leidenschaftlich, und diesmal klammerte sie sich nicht so verzweifelt an ihm fest wie sonst.
An den verregneten Tagen mied sie den Garten und war umso häufiger in der Küche, wo man sich an ihren Anblick gewöhnt und langsam die Scheu abgelegt hatte. Die Köchin fragte sie häufig, wie man in Montevideo kochte, und Rosa erzählte, dass man dort vorzugsweise Rindfleisch aß, nicht etwa geschmort wie hier, sondern scharf gebraten und das so kurz, dass das Fleisch innen rosig blieb.
Die Köchin schüttelte den Kopf, und Frau Lore fragte verdutzt: »Und das essen auch die feinen Leute?«
»Aber ja doch!«
»Und welche Gewürze werden
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