Die Rosen von Montevideo
und sie aufmerksam musterte. »Sie können natürlich Doktor Haubusch konsultieren, wenn Sie das wollen, Frau Gothmann, aber ich kann Ihnen auch so sagen, woran Sie leiden.«
Rosa wurde angst und bange. »Ist es etwas Schlimmes?«
»Mitnichten!«, rief Frau Lore lachend. »Ich könnte schwören, Sie sind guter Hoffnung.«
Der Schwindel verflüchtigte sich, als Rosa durchs Haus lief, nicht länger von unsichtbarer Last bedrückt, sondern mit federleichtem Schritt. Ein Glücksgefühl durchströmte sie, wie sie es schon lange nicht mehr kannte.
Ein Kind, sie bekam ein Kind! Ein Kind, das ihr gehörte! Ein Kind, das sie mit der neuen Heimat versöhnen würde! Ein Kind, das sie aus der Einsamkeit erretten konnte!
Die Tränen, die ihr nun in die Augen schossen, waren Tränen des Glücks.
Natürlich hatte sie gewusst, dass die meisten Eheleute mit der Zeit Kinder bekamen, und natürlich hatte auch sie gehofft, dass ihr eines geschenkt würde, doch im Elend der letzten Wochen hatte sie nie darüber nachgedacht.
»Albert!«, rief sie. »Albert, wo bist du?«
Das Glück verwirrte sie so sehr, dass sie gar nicht wusste, welche Tageszeit war. Erst als sie das Arbeitszimmer leer vorfand, begriff sie, dass Albert in der Bank und der Abend noch nicht angebrochen war. Sie hatte keine Ahnung, wie sie es ertragen sollte, so lange zu warten, bis sie ihm endlich die Neuigkeit berichten konnte.
Als sie sich umdrehte, sah sie, dass Antonie im Türrahmen lehnte, graziös und etwas angespannt wie immer. Ihre Augen waren starr auf sie gerichtet – gleich so, als betrachtete sie ein fremdes Insekt.
In den letzten Wochen und Monaten waren sich die Schwägerinnen meist aus dem Weg gegangen. Antonie hatte überdies viel Zeit im Stadthaus in Frankfurt verbracht, seit Carl-Theodor auf Reisen war. Was sie nun genau hierher aufs Land gelockt hatte, wusste Rosa nicht – und wollte es auch gar nicht wissen. Vor allem wollte sie nicht daran denken, wie Antonie sie vor der Frankfurter Gesellschaft bloßgestellt hatte. Ihr Glück stimmte sie versöhnlich, und in diesem Zustand wäre ihr jeder recht gewesen, um die großartige Neuigkeit loszuwerden.
»Stell dir vor!«, rief sie überschwenglich. »Ich bekomme ein Kind!«
Kurz war sie geneigt, die Schwägerin zu umarmen – so wie einst bei ihrer ersten Begegnung. Doch Antonie wich hastig zurück.
»Ich muss es Albert so schnell wie möglich berichten«, fuhr Rosa fort.
Antonie zog die Brauen hoch. »Albert ist in diesen Tagen mit Wichtigerem beschäftigt. Oder weißt du etwa nicht, was eben in Frankfurt geschieht?«
Rosa starrte sie verständnislos an. »Was könnte wichtiger sein, als dass ich ein Kind bekomme?«
»Pah!«, machte Antonie abfällig. »Kinder werden ständig geboren. Und ein paar von ihnen sterben gleich nach der Geburt wieder. Revolutionen hingegen gibt es nicht ganz so oft.«
Erst jetzt nahm Rosa den eigentümlichen Glanz in ihren Augen wahr. Trotz üblicher Arroganz und Verächtlichkeit, die sie an den Tag legte, schien Antonie irgendetwas zu begeistern.
»Revolutionen?«, fragte Rosa verwirrt.
Antonie nickte triumphierend. »Im Großherzogtum Baden hat alles seinen Ausgang genommen, und mittlerweile haben die Unruhen auf andere Staaten des Bundes übergegriffen. Willst du etwa sagen, du hast davon nichts gehört?«
Rosa zuckte die Schultern. »Vielleicht hat es Albert einmal beim Abendessen erwähnt.«
Antonies Miene nahm einen feierlichen Ausdruck an. »Von Berlin bis Wien wurden liberale Regierungen berufen. In Bälde soll eine neue Verfassung erarbeitet werden, und zu diesem Zweck treffen sich Deputierte aus ganz Deutschland in der Paulskirche.«
»Und was hat Albert damit zu tun?«, fragte Rosa.
Antonie schüttelte tadelnd den Kopf. »Es betrifft jeden, denn wir alle sind freie Bürger, denen das Denken nicht verboten ist, wir alle sind Teil des Staates! Aber es mag sein, dass dich das als Südamerikanerin nicht interessiert. In diesen Breitengraden geht es doch sehr unzivilisiert, wenn nicht barbarisch zu. Was versteht ihr schon von Freiheit!«
Rosa wusste nicht genau, was die andere meinte – fühlte sich in jedem Fall aber verletzt und an die peinliche Bloßstellung erinnert. »Ich bekomme ein Kind«, wiederholte sie trotzig. Nicht länger erschienen ihr diese Worte als glückliche Nachricht – eher als Schutzschild, hinter dem sie sich verstecken konnte. Übermächtig wurde das Gefühl, sie müsste sich vor Antonie ducken, und auch wenn sie
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