Die Rosen von Montevideo
Chance! Ich verspreche dir, ich werde alles besser machen. Wenn wir noch einmal neu beginnen, dann …«
»Es ist zu spät.« Ihre Stimme war so eiskalt wie ihre Hände.
Er wankte, als hätte sie ihn geschlagen. »Warum?« fragte er heiser. »Weil ich … ihn getötet habe? Oder weil du ihn liebtest?«
Sie schwieg. Wenn sie an Fabien dachte, hörte sie immer noch seine Musik. Ihr zu lauschen, hatte sie mit jeder Faser genossen, doch wenn er nicht gerade Klavier spielte, hatte ihr Herz bei seinem Anblick nie schneller gepocht. Nein, sie hatte ihn nicht geliebt. Doch das würde sie nie zugeben. Wenn Albert dachte, dass sie ihn mit Fabien betrogen hatte, würde er in diesem Glauben weiterleben müssen, und wenn ihm darob das Herz zerriss, dann würde er nachfühlen können, was in ihrem vorging, als sie ihre Liebe sterben sah – die zu ihm, ihrem Mann, nicht etwa zu ihrem Gesangslehrer.
Schweigend wandte sie sich ab und ging zur Treppe. Als er ihr folgen wollte, hob sie erneut abwehrend die Hand.
»Bleib mir fern! Ich will nicht, dass du jemals wieder in mein Schlafzimmer kommst.«
Seine Augen waren gerötet – sie war nicht sicher, ob vom Alkohol oder vor unterdrückten Tränen. Er gehorchte und kam ihr nicht zu nahe, klammerte sich jedoch ans Treppengeländer, um nicht hinzufallen.
»Bitte verlass mich nicht! Geh nicht fort.«
»Ich gehe nicht. Ich bleibe. Nicht bei dir, aber bei meiner Tochter. Für alle anderen kommt das auf dasselbe raus. Ganz Frankfurt wird denken, dass wir eine glückliche Ehe führen, aber für mich bist du nicht mehr mein Mann.« Sie zögerte kurz, und die aufgesetzte Starre bekam Sprünge; etwas Hitziges brach sich seine Bahn: »Ich hasse Frankfurt«, zischte sie, »ich hasse die Menschen hier, und ich hasse den Regen. Aber ich kann nun nicht mehr nach Montevideo zurückkehren. Es war der größte Fehler meines Lebens, dir in dieses Land gefolgt zu sein. Hätte ich bloß auf meinen Vater gehört und Ricardo del Monte geheiratet. Lieber würde ich an der Seite eines Greises leben als an der eines Mörders.«
Bei jedem Wort zuckte Albert zusammen.
Sie sah, dass er den Mund öffnete, aber nichts hervorbrachte, und er hielt sie auch kein weiteres Mal auf, als sie nach oben ging. Mit jeder Stufe, die sie zurücklegte, gewann die Kälte in ihr wieder Oberhand. Kälte, die sie vor Entsetzen und Schmerz und Heimweh schützte und die sie zugleich zum einsamsten Menschen Frankfurts machte.
Carl-Theodor ordnete gemeinsam mit Frau Lore den Nachlass seiner Mutter, und mit jedem Stück, das sie in Seidenpapier wickelten, um es auf dem Dachboden zu verstauen – ob eine Brosche, ihre Ohrringe oder das Büchlein, worin sie Rezepte aufgeschrieben hatte – wurde ihm weher ums Herz.
Er trauerte um seine Mutter, wie er um seinen Vater getrauert hatte – mit leiser Verwirrung, dass der Schmerz so tief ging, und Wehmut, weil er ihnen zu Lebzeiten seine Zuneigung nicht hatte beweisen können. Am bittersten war die Erkenntnis, dass es kaum einen Unterschied gemacht hätte, jede Wärme, jede Liebe ja doch abgeprallt wäre – ob nun an der Härte des Vaters oder dem Selbstmitleid der Mutter. Sie hatten in ihrer eigenen Welt gelebt und die Tür dazu auch vor den Söhnen verschlossen gehalten.
Es ist wie bei Antonie, dachte er bestürzt.
»Werden Sie … werden Sie nun bald nach Hamburg fahren?«, fragte Frau Lore. Sie hatte in den letzten Wochen oft um Adele geweint, aber als pragmatische Frau, die sie war, war sie längst wieder zu ihrem gewohnten Tagesrhythmus zurückgekehrt.
Carl-Theodor nickte. »Meiner Frau bekommt das Klima dort. Und ich werde aus geschäftlichen Gründen gebraucht. Außerdem geht es bald wieder nach Montevideo.«
»Und werden Sie Claire mitnehmen?«
Wieder nickte er. Bis vor kurzem war er überzeugt gewesen, es wäre besser, sie der vertrauten Umgebung nicht zu entreißen. Doch nun war nicht nur das Anwesen im Taunus abgebrannt, sondern die Stimmung im Stadthaus merklich erkaltet. Rosa und Albert sahen sich seit dem Brand nicht mehr in die Augen und behandelten einander wie Fremde.
Was genau sie nach vielen Krisen endgültig entzweite – er wusste es nicht. Er dachte nur schweren Herzens, dass es in dieser Familie keine Liebe gab: Seine Eltern hatten sich nie geliebt, er Antonie nur einseitig, und Rosa und Albert waren unfähig, ihre Liebe zu pflegen.
Als er das Gemach seiner Mutter verließ, fühlte er sich trostlos wie selten, und der Blick auf die grauen
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