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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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hängengeblieben und gerissen. Und als ihnen Carl-Theodor 1855 von der Pariser Weltausstellung zwei bewegliche Babypuppen aus Gussmasse mitgebracht hatte, hatte Claire hingebungsvoll damit gespielt, während Valeria die ihre sofort kaputt gemacht hatte.
    Im Pensionat hatte sich ihr Verhalten fortgesetzt. Claire war bei sämtlichen Lehrerinnen beliebt, Valeria hingegen allen ein Dorn im Auge.
    Obwohl Claire am liebsten Bücher las, bewies sie auch bei den hauswirtschaftlichen Fächern Höchstleistungen, allen voran im Nähen. Wahrscheinlich hätte sie auch flugs Fräulein Claasens Saum wieder festgenäht – so aber wurde der Faden immer länger, und der Stoff schleifte am Boden.
    Claire hatte schon als Kind gerne Nähkränzchen veranstaltet, bei denen Weihnachtsgeschenke für arme Kinder angefertigt wurden. Und sie hatte liebend gerne an Wohltätigkeitsbasaren teilgenommen, um arme Leute zu verköstigen: Valeria hatte das stets gehasst, aber wenn sie an die Erbsensuppe vom Mittagessen dachte, wurde sie ganz gierig auf die Leckereien, die dann aufgetischt worden waren: Bouillon, Gurkenbrötchen, Plätzchen und Törtchen …
    Genießerisch schmatzte sie. Ach, warum war Claire nach Antonies Tod nur in Hamburg geblieben?
    Ein schriller Schrei riss sie aus den Gedanken. Fräulein Claasens Blick war auf den Saum ihres Kleides gefallen. Prompt verfolgte sie den Verlauf des Fadens, und Valeria zog den Fuß zu spät zurück. Die anderen Mädchen schafften es, ausdruckslose Gesichter zu machen, doch Valeria prustete los.
    Wutentbrannt kam Frau Claasen auf sie zu.
    »Das wird ein Nachspiel haben, Fräulein Gothmann, das können Sie mir glauben!«
     
    Wenig später saß Valeria vor der Direktorin des Pensionats, Thekla Widmayr. Es war nicht zum ersten Mal, dass sie nach einem Streich eine ordentliche Standpauke über sich ergehen lassen musste, doch heute war das Gesicht von Fräulein Widmayr ungewohnt ernst. Für gewöhnlich war sie viel humorvoller als Fräulein Claasen – und entsprechend milder, wenn es um die Bestrafung ging.
    Während Fräulein Claasen wohl aus purer Not Lehrerin geworden war, ihre Arbeit aber mehr als Last denn als Erfüllung sah, wie die verhärmte Miene bekundete, führte Fräulein Widmayr das Pensionat mit großer Leidenschaft. Vielleicht hatte auch sie einmal einen anderen Lebenstraum gehabt, doch ihr war es ganz offensichtlich gelungen, den aus Not erwählten Beruf kurzerhand zu diesem zu machen.
    Claire mochte sie, auch wenn sie sie oft dafür kritisierte, dass in diesem Pensionat – anders als in fortschrittlicheren Schulen – die Mädchen nicht in Physik und Naturgeschichte unterrichtet wurden, sondern man am traditionellen Fächerkanon festhielt, der vor allem Lektionen in Französisch, Sticken, Zeichnen und Klavierspiel vorsah.
    Valeria war es egal, was unterrichtet wurde – grundsätzlich fand sie alle Fächer langweilig und mochte keine der Lehrerinnen. Mit gutem Willen betrachtete sie Fräulein Widmayr als Ausnahme – zumindest bis heute.
    »Sitz gerade!«, befahl diese eben streng.
    Valeria unterdrückte ein Seufzen. Von allen Unterrichtsfächern fand sie den Kurs am unsinnigsten, in dem die Mädchen nicht nur Tanzen, sondern korrekte Körperhaltung lernten. Stakkatoartig waren dann Befehle zu hören wie: Geh mit durchgestrecktem Rücken, mach nicht so große Schritte, reck das Kinn nicht stolz in die Luft, fuchtele nicht mit den Armen!
    Noch schlimmer war nur der Kurs »Sittsames Benehmen«. Valeria fand, dass der Name eigentlich nicht zutreffend war. Viel passender wäre der Titel »Wie bekomme ich Standesdünkel« gewesen. Sie fand es ermüdend, wie den höheren Töchtern ständig eingeredet wurde, dass sie etwas Besseres waren und dass sie niemals mit ihrer Hände Arbeit Brot verdienen mussten. Das tat schließlich der werte Ehemann für sie. Und um einen solchen zu bekommen, reichte es, anmutig und liebenswürdig, aber nicht klatschsüchtig zu sein, bewandert in der Haushaltsführung, aber nicht gebildet, stets aufmerksam, aber nie neugierig.
    Valeria konnte sich das Leben, auf das sie hier allesamt eingeschworen wurden, nur schwer vorstellen. Sie wusste: Irgendwann würde sie heiraten, weil das schließlich alle taten und aus den wenigen Frauen, die keinen Bräutigam fanden, verschrobene Tanten wurden, die man nur widerwillig im Haushalt des Bruders oder Vaters duldete. Doch zuvor wollte sie etwas erleben – etwas, das sie glücklich machte, welterfahren und alle ihre

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