Die Rosen von Montevideo
die eben noch träge in der Sonne gelungert hatten, am Ufer zusammenströmten und aufgeregt aufs Meer deuteten. Claire sah sich um, konnte aber nichts Ungewöhnliches erkennen. Was war nur los?
Erst nach einer Weile begriff sie, dass sie alle in ihre Richtung wiesen und wild durcheinanderschrien. Claire konnte die Worte nicht verstehen, aber sie veranlassten den Polizisten, der den Strand beaufsichtigte, hektisch seine Stiefel und Uniform abzulegen und mit einem Hechtsprung von einem Steinmäuerchen ins Wasser zu springen. Es war ein höchst eleganter Anblick, wie er mit kräftigen Zügen das Wasser durchpflügte, doch Claire verstand immer noch nicht, warum er direkt auf sie zugeschwommen kam.
»Niña, alles in Ordnung mit Ihnen?«, rief er ihr prustend zu, kaum hatte er sie erreicht.
Ehe sie antworten konnte, überwand er die letzte Distanz, packte sie an den Händen und zog sie an sich. Und bevor sie ihrer Verblüffung Herr wurde und sich dagegen wehrte, griff er ihr schon unter den Kopf und zog sie mit sich Richtung Strand. Ihre nackten Füße stießen unter Wasser gegeneinander, und Claire erschauderte. Nie hatte sie ein Mann, überdies ein Fremder, so vertraulich berührt.
»Gütiger Himmel!«, stieß sie aus. »Was tun Sie denn da?«
»Nun, ich rette Sie vor dem Ertrinken!«
Sie lachte laut auf, und der Polizist war so verwirrt, dass sich sein Griff lockerte. Claire machte sich los. »Wie kommen Sie bloß auf die Idee, ich würde ertrinken?«
»Aber es haben doch alle gesagt …«
Sie spähte zum Strand, wo die Badenden immer noch heftig gestikulierten, und begriff erst jetzt, dass man ihr Jauchzen als Hilfeschrei ausgelegt hatte. Als sie überdies begeistert die Arme in die Höhe gerissen hatte, hatte man vermutet, sie würde verzweifelt um ihr Leben kämpfen.
Sie konnte gar nicht anders, als wieder zu lachen, doch als sie sah, wie verlegen der Mann wirkte, verstummte sie.
»Ich wollte Sie nicht in Ihrem Stolz treffen«, sagte sie rasch.
»Und ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten, Niña. Aber hier schwimmen Frauen nicht so weit hinaus. Und sie gehen auch nicht allein zum Schwimmen.«
Er wirkte fast ein wenig gekränkt. Offenbar war er jemand, der seine Pflichten ganz genau nahm und sich nun lächerlich gemacht fühlte.
»Auf jeden Fall danke ich Ihnen«, sagte Claire beschwichtigend. »Es ist beeindruckend, dass Sie keine Sekunde gezögert haben, eine Frau in Not zu retten. Und ich muss zugeben – ich bin weiter hinausgeschwommen, als ich es vorhatte. Das Wasser hier ist kalt, die Strömungen gewiss nicht ungefährlich. Wenn ich ehrlich bin, bin ich ziemlich erleichtert, dass ich nicht allein zurück ans Ufer schwimmen muss.«
Wahrscheinlich entging ihm nicht, dass sie maßlos übertrieb, aber er war dankbar, dass sie ihn sein Gesicht wahren ließ, und nickte ernsthaft.
Schnell schwammen sie zurück, und Claire warf immer wieder verstohlene Blicke auf ihn. Die Frauen mochten hierzulande nicht sonderlich gut schwimmen – die Männer aber umso besser. Er war eine überaus elegante Erscheinung, seine Schwimmzüge waren kraftvoll und geschmeidig. Sie konnte ihren Blick selbst dann nicht von ihm lassen, als sie das Ufer erreichten. Seine Hosen hatte er anbehalten, doch sein muskulöser Oberkörper war nackt, und das Wasser perlte von seiner glatten Haut. Er selbst hielt die Augen gesenkt, als sie den Fluten entstieg, und sie rechnete es ihm hoch an, war doch ihre helle Unterwäsche etwas durchsichtig.
Erst als sie sich beide angekleidet hatten – aufgrund seiner Nähe verzichtete sie darauf, erst wieder ganz trocken zu werden –, richtete er erneut das Wort an sie: »Wie gesagt, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Es ist nicht meine Art, eine Situation wie diese auszunützen und eine Frau unsittlich zu berühren.«
Er bückte sich hastig, um seine Stiefel überzustreifen.
»Da Sie mich gerettet haben – darf ich Ihren Namen erfahren?«
»Ich habe Sie nicht gerettet.«
»Und deswegen darf ich nicht wissen, wie Sie heißen?«, fragte sie belustigt.
»Doch, natürlich. Mein Name ist Luis Silveira.«
»Und ich heiße Claire Gothmann.«
»Sie sind also Ausländerin? Ich habe es mir wegen Ihres Akzents schon gedacht.«
Sie nickte. »Ich komme aus Deutschland.«
Bis jetzt hatte er seine Augen immer noch sittsam gesenkt gehalten, doch als er auch seinen zweiten Stiefel angezogen hatte, glitt sein Blick verstohlen über ihren Körper. Gewiss bemerkte er, dass sich unter dem feuchten
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