Die Rosen von Montevideo
Stoff ihre Glieder abzeichneten. Sanfte Röte stieg ihm ins Gesicht, wenngleich er schon im nächsten Augenblick streng verkündete: »Nun, hier wie in Deutschland gilt, dass man besser nicht alleine schwimmt.«
Mit diesen Worten wandte er sich ab, nahm wieder seine Position als Beobachter ein und tat so, als würde er niemanden bemerken – am allerwenigsten sie.
Claire setzte sich auf einen Stein und ließ sich von der Sonne wärmen. Mehrmals drehte sie sich nach ihm um, aber er verzog keine Miene, und sie bedauerte es zutiefst, obwohl sie nicht recht sagen konnte, warum.
Schließlich wandte sie sich zum Gehen. Sie hatte den Strand schon fast verlassen, als sie sich ein letztes Mal zu ihm umwandte. Ihr entging nicht, dass er ihr nun doch nachsah, und unwillkürlich musste sie grinsen. Vielleicht war es nur eine Täuschung, aber auch seine Mundwinkel schienen zu zucken.
»Luis Silveira«, murmelte sie auf dem Heimweg immer wieder. »Luis Silveira …«
15. Kapitel
S chon wenige Tage später sah Claire Luis unerwartet wieder. Diesmal trug sie nicht nur ihre weiße Unterwäsche, sondern ihr schönstes Kleid aus einem satten Rot und dazu den Rubinschmuck, den sie von ihrer französischen Großmutter geerbt hatte. Bis jetzt hatte es keine Gelegenheit gegeben, sich feinzumachen, doch nun besuchte sie zum ersten Mal die Oper von Montevideo.
Anders als Valeria, die ungern still saß und schon gar nicht über Stunden, hatte sie sich seit Tagen darauf gefreut. »Das Opernhaus heißt Theater de Solis«, erklärte sie ihrer Cousine. »Es wurde nach Juan Diaz de Solis benannt – einem der ersten Spanier, der mit seinem Schiff in den Río de la Plata einlief. Er bezahlte es mit seinem Leben, denn er wurde dort von Einheimischen erschlagen.«
Valeria schien von der grausamen Geschichte durchaus fasziniert, verdrehte dann aber die Augen: »Dass du dir so viel merken kannst! Hast du keine Angst, dass dein Kopf irgendwann so voll ist, dass nichts mehr reinpasst?«
Auch wenn Valeria wenig erpicht schien, die Oper zu sehen, freute auch sie sich über den Anlass, sich schön zu machen und unter die Leute zu kommen. Beide Mädchen waren aufgeregt, als sie am frühen Abend zum Theater aufbrachen, das nicht weit vom alten Kastell, das gegenwärtig die Markthalle beherbergte, lag. Es war ein großes Gebäude vor einem runden, weiten Platz, der auf den gegenüberliegenden Seiten von hässlichen Buden und Baracken umgeben war – ein Zeichen dafür, dass in diesem Land Reich und Arm dicht nebeneinanderlagen. Viele kleine Gaslaternen beleuchteten das Gebäude, und überdies lockten aufsteigende Raketen das Publikum ins Theater.
Claire hatte zunächst gedacht, dass sie etwas zu fein gekleidet war, stellte nun jedoch fest, dass auch alle anderen Besucher ihre beste Kleidung aus dem Schrank geholt hatten, gleich so, als besuchten sie keine Opernvorstellung, sondern einen Ball: Die Herren trugen allesamt einen schwarzen Frack mit weißer Halsbinde und weißen Glacéhandschuhen; die Damen waren in elegante Kleider geschlüpft und hatten ihr teuerstes Geschmeide angelegt. Keine von ihnen trug einen Hut, so dass man kunstvoll geflochtene und hochgesteckte Frisuren bewundern konnte. Wenn nicht in der Ferne das Meer gerauscht hätte, so hätte Claire geglaubt, in Frankfurt oder Paris zu sein.
Carl-Theodor nickte Julio anerkennend zu. »Dieses Theater lässt die Eleganz der deutschen Stadttheater weit hinter sich«, stellte er fest.
»Niemand soll uns vorwerfen, dass wir hinter Europa zurückstehen.« Julio sonnte sich einmal mehr im Lob ihrer Lebensart, als wäre alles sein Verdienst – und auch Leonora lächelte geschmeichelt. Nur Isabella machte wie so oft einen unglücklichen Eindruck. Ihr braunes Kleid schlotterte an ihrem schmalen Leib und ließ sie noch blasser aussehen.
Als sie auf das Gebäude zugingen, bestaunten Valeria und Claire ehrfürchtig das von sechs korinthischen Säulen getragene Peristyl, über dem sich der Hauptbau mit dem großen Giebelfeld erhob und wo eine goldene Sonne, das Wappen der de Solis’, prangte. Hinter dem Eingang befand sich eine geräumige Vorhalle, deren Decke von sechs Säulen aus weißem Marmor mit bronzenen Kapitellen getragen wurde, und von hier ging es zu den Korridoren, Logen und dem Parterre.
Valeria packte Claire am Arm. »Schau doch mal! Diese Damen dort, sie sind alle verschleiert! Wo sie wohl hinwollen?«
»Wie es aussieht, in die oberste Loge«, erwiderte Claire.
Diese
Weitere Kostenlose Bücher