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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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weiblichen Besucherinnen waren nicht elegant, sondern ganz in Schwarz gekleidet und ihre Gesichter hinter undurchsichtigen Schleiern verborgen. Wie Valeria sah auch Claire ihnen neugierig nach – ehe ihr Blick von etwas anderem gefesselt wurde: Der Mann, der die Damen durch den Vorraum Richtung Loge geleitet hatte und danach dort unten wartete, war Luis Silveira. Er trug keine Stiefel, aber seine Uniform, auf der heute mehrere Orden prangten. Obwohl er mit gesenktem Kopf dort stand, war er eine edle, stolze Erscheinung, die sie wie bei ihrer ersten Begegnung bannte.
    »Geh schon mit den anderen mit«, sagte Claire leise, »ich komme gleich nach.«
    Valeria wirkte verwirrt, bemerkte dann aber, wohin Claire so offensichtlich starrte, und wohl auch, dass ihr das Blut ins Gesicht geschossen war. »Kennst du den Mann?«, fragte sie mit vielsagendem Grinsen.
    »Nun mach schon! Lenk Vater irgendwie ab! Sag ihm, ich musste mich kurz erfrischen.«
    Obwohl sie sichtlich neugierig auf den Fremden war, der es ihrer Cousine so angetan hatte, gab Valeria nach und folgte den anderen zur Loge.
    Luis’ Gesicht blieb unbewegt, als Claire auf ihn zutrat. Erst als sie unmittelbar vor ihm stand, verzog ein leichtes Lächeln seinen Mund, und er straffte kaum merklich seinen Rücken.
    »Niña Gothmann«, murmelte er.
    »Warum so förmlich? Nennen Sie mich doch Claire!«
    Er runzelte die Stirn. »Denken Sie nicht, das ist etwas zu vertraulich?«
    »Was könnte vertraulicher sein, als gemeinsam kaum bekleidet im Meer zu schwimmen?«, lachte sie.
    Die Erinnerung daran war ihm sichtlich unangenehm, und um ihm nicht zu nahe zu treten, lenkte sie rasch vom Thema ab. »Was machen Sie hier? Besuchen Sie auch die Aufführung heute Abend?«
    »Nein, ich bin im Dienst. Ich begleite die Tapadas.«
    »Die … was?«
    »Nun, diese verschleierten Frauen, die Sie gewiss eben gesehen haben. Sie sind Witwen oder unverheiratete Damen und besuchen die Oper ohne männlichen Verwandten. Deswegen verzichten sie auch auf die Toilette und verbergen sich hinter einem Schleier. Sie nehmen in der Galeria Platz, wo sie gänzlich ungestört von Männern sind. Damit sie auch auf dem Weg dorthin und wieder zurück nach Hause nicht belästigt werden, begleite ich sie.«
    Was für ein merkwürdiger Brauch, ging es Claire durch den Kopf. Allerdings konnte sie sich nicht erinnern, ob sie jemals ohne ihren Vater die Oper in Frankfurt besucht hatte und ob es andere Frauen gab, die ohne männliche Begleitung unterwegs waren. Im Zweifelsfall hätte sie sich auch lieber einen Schleier umgelegt, als auf einen Opernbesuch zu verzichten.
    »Das heißt, Sie werden die Oper gar nicht sehen?«, fragte sie bedauernd.
    »Nein, ich warte hier. Aber ich kann die Musik hören. Ich … ich liebe Musik.«
    Sie war erstaunt über das Bekenntnis und den sehnsuchtsvollen Klang seiner Stimme. Beides war an einem so steif und streng wirkenden Mann eigentlich nicht zu vermuten.
    »Ich muss nun in die Loge zu meiner Familie«, erklärte sie. »Aber in der Pause kann ich wiederkommen, dann werde ich Ihnen das Bühnenbild und die Kostüme schildern.«
    Er ließ es sich nicht anmerken, ob ihn diese Aussicht erfreute oder nicht, aber sie wertete es schon als Erfolg, dass er ihr Angebot nicht rundweg ablehnte.
    Claire war sich zunächst nicht sicher, ob sich überhaupt ein Anlass bieten würde, später unauffällig der Loge zu entfliehen, aber als sie sie betrat, stellte sie fest, dass nichts leichter war als das, denn auch nach Beginn der Aufführung ging es in den Logen unruhig zu. Offenbar war es in Montevideo Brauch, dass sich die reichen Familien gegenseitig Besuche abstatteten und einige Zeit, mitunter einen ganzen Akt lang, bei ihnen verweilten. Nicht nur das stete Kommen und Gehen lenkte von der Musik ab – aufgeführt wurde heute Abend Mozarts
Entführung aus dem Serail
 –, sondern auch die ungeniert lauten Gespräche. Vor allem Julio schien mitnichten an der Musik interessiert, sondern diskutierte die ganze Zeit über die aktuellen Wollpreise. Bei jeder anderen Gelegenheit hätte sich Claire darüber geärgert, doch so harrte sie ungeduldig darauf, wieder zu Luis huschen zu können.
    Die Pause nach dem ersten Akt hatte noch nicht begonnen, als viele Männer bereits die Loge verließen, um in den Gängen Zigarren zu rauchen. Die Frauen folgten und genossen ein Glas Champagner. Auch Claire wurde eines gereicht, doch sie trank nicht daraus, sondern ging mit dem Glas in der Hand hinunter

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