Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
Augenblick hätte Erich in seiner Verzweiflung, mit der er unbedingt an ein Medikament gelangen wollte, uns auffordern können, die Leiter herunterzulassen und ihm auch noch diesen Raum vorzuführen. Es war wie ein Alptraum. « Edith schauderte in der Erinnerung an jene Momente. »Ich dachte, ich müßte schreien, so entsetzlich vibrierten meine Nerven. Aber das hätte alles noch schlimmer gemacht. Ich mußte einigermaßen unbefangen und normal erscheinen.«
Maja kannte diese Geschichte noch nicht, aber deswegen fand
sie sie keineswegs spannend. Es lag alles so schrecklich weit zurück. Es hatte keine Bedeutung mehr für sie und ihr Leben.
»Ich nehme an, daß er Julien nicht entdeckt hat«, sagte sie mißmutig, »denn sonst würdest du wohl nicht hier sitzen.«
»Nein«, stimmte Edith zu. Vorsichtig nahm sie einen Schluck Tee. »Ich würde wahrscheinlich nicht hier sitzen. Er zog ab, ohne den Dachboden gesehen zu haben. Aber ich hatte die ganze Zeit über das Gefühl, daß noch etwas Schlimmes geschehen würde, und ich behielt damit recht. Am späten Nachmittag desselben Tages wurde Thomas zu Beatrice und Helene hinübergerufen. Der andere Franzose, der für Erich arbeitete, Pierre hieß er, glaube ich, lag schwer verletzt in der Küche des Hauses. Erich hatte auf ihn geschossen. Ich weiß gar nicht mehr genau, warum...«, Edith runzelte die Stirn, »irgendeine Meinungsverschiedenheit, nehme ich an. Erich drehte wohl einfach durch, weil er seine Medikamente nicht bekam... Thomas sagte, es habe schlimm ausgesehen.«
»Hat er dem Franzosen helfen können?« fragte Maja. Sie hatte furchtbaren Durst. Vielleicht finde ich in der Küche etwas zu trinken, überlegte sie, eine Dose oder eine ungeöffnete Flasche, an der garantiert noch niemand von den Alten dran war.
»Er hat ihm helfen können«, antwortete Edith, »soweit ich mich erinnere, sprach er von einem glatten Durchschuß im Bein. Pierre hatte wohl ziemlich viel Blut verloren, und es herrschte eine mörderische Hitze draußen...« Ihre Augen verdunkelten sich ein wenig. »Ach, das waren Zeiten«, sagte sie unbestimmt, und es klang etwas wie Sehnsucht in ihrer Stimme. »Sie waren schrecklich, sie waren gefährlich, aber wir waren alle zusammen, wir lebten... hier habe ich manchmal das Gefühl, schon gar nicht mehr da zu sein.«
»Du solltest nach Guernsey zurückkommen«, sagte Maja. »Großmutter würde sich bestimmt sehr freuen, dich bei sich zu haben.«
»Ich weiß nicht...«, murmelte Edith, wobei sie offenließ, ob sich ihre Zweifel auf Maes Freude bezogen oder auf den Vorschlag, nach Guernsey zurückzugehen. »Wer weiß, ob ich dort noch hingehöre... «
Maja erhob sich. »Du erlaubst doch, daß ich rasch in die Küche gehe, ja? Ich brauche unbedingt etwas zu trinken...«
Edith wies auf die Teekanne. »Der Tee...«
»Etwas Kaltes«, sagte Maja rasch, »es ist einfach zu warm heute für Tee.«
»Ein sehr sonniger Frühling«, stimmte Edith zu, »vielleicht sind deshalb die Erinnerungen besonders lebendig. 1945 war es ebenfalls so warm. Zu warm für den April, zu warm für den Mai...«
Sie tun alle so, als sei diese Zeit toll gewesen, dachte Maja, während sie sich in Richtung Haus entfernte. Dabei ging es doch einfach fürchterlich zu. Ich hätte damals nicht leben mögen. Krieg und Hunger und unmögliche Klamotten...
Sie verzog das Gesicht und schüttelte sich. Sie hatte das Haus erreicht und entdeckte zu ihrer Freude eine Hintertür, die offenstand. Es hätte sie gestört, vorne an den Alten vorbeizumüssen und erneut angestarrt zu werden.
Die Tür führte direkt in die Küche, wie sie beim Anblick mehrerer großer Kühlschränke und eines gigantischen Herdes feststellte. Sie war penibel aufgeräumt, nirgendwo stand schmutziges Geschirr herum, nirgendwo lag auch nur ein Stäubchen. Als unordentlich konnte man das Heim beim besten Willen nicht bezeichnen.
Eine der Kühlschranktüren war geöffnet, ein junger Mann kniete davor und kramte in den Fächern herum. Als er Majas Schritte hörte, sprang er erschrocken auf und drehte sich um. In der Hand hielt er eine Coladose. Sie war beschlagen von der Kälte, ein Tropfen perlte langsam herunter. Bei diesem Anblick wurde Maja ganz schwach.
»Hey«, sagte sie, »hier gibt es ja Cola!«
»Ich würde das gern bezahlen«, sagte der junge Mann verlegen, »ich habe nur niemanden gefunden. Sind Sie hier zuständig? Ich möchte...«
»Ich bin nur zu Besuch hier«, unterbrach Maja, »und ich verdurste
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