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Die rote Agenda

Die rote Agenda

Titel: Die rote Agenda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liaty Pisani
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mein lieber Spion«, murmelte sie.
    Inzwischen
hatte der zweite Teil der Gala begonnen, und ein berühmtes russisches
Eiskunstläuferpaar trat zu den Klängen eines Wiener Walzers auf. Es folgten
weitere [58]  Einzelläufer im Wechsel mit Paaren, und insgesamt hatten die
Darbietungen höchstes Niveau. Dann, endlich, war der Zar an der Reihe: Evgenij
Korolenko. Hinter ihm erschien auch der junge Geiger, der ihn oft begleitete und
musikalische Arrangements spielte, die eigens für ihn erstellt wurden. Das
Turiner Publikum zeigte seine Begeisterung mit nicht enden wollendem
rauschenden Beifall und Bravo-Rufen.
    Korolenko,
ein dreiundzwanzigjähriger Mann mit goldblondem Haar, trug schwarze Hosen und
ein rotes Hemd. Er glitt über das Eis und begrüßte sein Publikum, während die
ersten Klänge eines Sirtaki zu hören waren und die Lichter auf dem Eis in einer
suggestiven Phantasmagorie Farbe und Form wechselten.
    Er zeigte
sofort einen vierfachen, dreifachen und doppelten Toeloop, und das Publikum
tobte vor Begeisterung. Auf diese Weise bewies er, obwohl dies nicht nötig
gewesen wäre, gleich seine technische Überlegenheit, die es ihm erlaubte, in
eine einfache Vorführung Schwierigkeiten einzubringen, die eines olympischen
Wettbewerbs würdig waren. Mit seinem rasanten Lauf eroberte er im synkopierten
Rhythmus der griechischen Musik das Eis, vollführte Sprünge und perfekte
Pirouetten und interpretierte mit blitzschnellen, klaren, nie angestrengt
wirkenden Schritten den Charakter der Musik. Doch was auch die Zuschauer
begeisterte, die nicht in der Lage waren, die Schwierigkeit seiner Figuren
einzuschätzen, war sein müheloses Tanzen auf dem Eis, seine Mimik und seine
Körperbeherrschung, die er einsetzte, um harmonische Bewegung und Schnelligkeit
verschmelzen zu lassen.
    Korolenko
war fast am Ende seines Programms, als er, [59]  nachdem er eine
Biellmann-Pirouette gezeigt hatte, zum Finale ansetzte. Er pflegte immer eine
enge Beziehung zum Publikum und trat bisweilen sogar mit den Zuschauern in den
ersten Reihen in Kontakt.
    Jetzt
näherte er sich mit einer Reihe von kurzen und raschen Schritten immer mehr der
Tribüne. Mit einem Mal, als er sie fast erreicht hatte, schien irgendetwas
seine Aufmerksamkeit zu erregen, das Lächeln schwand von seinen Lippen, und er
erstarrte. Nach einem kurzen Zögern lief er mit zwei großen Schritten auf die
Banden zu und schrie etwas, zuerst auf Russisch, dann auf Englisch.
    Dem Geiger
auf der anderen Seite der Eisfläche entging das alles, und er begann den
Schluss des Stücks zu spielen, während Korolenko über die Banden kletterte und
sich auf Astoni warf.
    Ogden
seinerseits folgte einem konditionierten Reflex und warf sich auf Verena.
»Bleib unten!«, schrie er, während er sah, wie hinter Korolenko und Astoni, die
nun auf dem Boden lagen, ein Mann floh, die Treppe hochrannte und dabei immer
zwei Stufen auf einmal nahm.
    Korolenko
wandte sich an Ogden. »Er wollte auf ihn schießen, ich habe die Waffe gesehen.«
    »Kümmere
dich um Paolo«, flüsterte Ogden Verena zu und rannte dem Kerl hinterher.
    Die Musik
hörte auf, und ein Raunen ging durchs Publikum. Niemand verstand, was los war,
doch die ganze Aufmerksamkeit des Palavela war auf die Sitze in der ersten
Reihe gerichtet. Die Fernsehkameras, die die Szene aufgenommen hatten, zeigten
weiter Korolenko, der Paolo Astoni festhielt.
    [60]  Ogden
hatte den Mann inzwischen auf einem der endlosen Gänge rund um das Stadion fast
eingeholt, als der Attentäter sich umwandte und auf ihn schoss, ihn jedoch
verfehlte. Der Gang machte eine Biegung, und Ogden verlor den Schützen für ein
paar Sekunden aus den Augen. Er zog die Pistole aus dem Halfter, und als er
seinerseits um die Ecke bog, fand er sich vor einem der Seitenausgänge wieder.
Er sah den Mann auf den Vorplatz des Palavela laufen und in einen schwarzen
Geländewagen springen, der mit eingeschalteten Scheinwerfern auf ihn wartete.
Das Auto fuhr mit Vollgas und quietschenden Reifen davon. Ogden konnte sich
gerade noch das Kennzeichen merken.

[61]  9
    Im
Zimmer hörte man nur das Summen der Geräte. Das Gesicht des Mannes im Bett war
fast so weiß wie das Laken, das ihn bis zur Brust bedeckte. Seine Arme lagen
reglos am Körper ausgestreckt, hin und wieder strichen die Finger einer Hand
über die Leinendecke. Ohne die medizinischen Instrumente und den leichten
chemischen Geruch, der in der Luft hing, hätte es ein Hotelzimmer sein können.
Doch es war das Zimmer eines

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