Die rote Agenda
am anderen Ende der Welt, wo er gutgefüllte Bankkonten und
eine Hacienda mit hundert Hektar Land besaß. Um diesen Plan in die Tat
umzusetzen, musste er nur bei einer kleinen römischen Bank seinen falschen Pass
und einige kompromittierende Dokumente abholen, mit denen er halb Italien
erpressen könnte, und sich dann ein Ticket kaufen, nur Hin-, kein Rückflug.
Niemand würde je wieder etwas von ihm hören.
Und er
hatte noch eine Karte, die er einsetzen könnte, doch die würde er sich bis
zuletzt aufheben, als äußerstes Mittel. Vor Jahren hatte er zufällig erfahren,
hinter welcher Identität sich Matteo Trapani verbarg. Von diesem Extra-As im
Ärmel hatte er niemals Gebrauch gemacht, weil er wusste, es könnte ihn das
Leben kosten. Doch auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil…
Er lächelte
in sich hinein, als er sich daran erinnerte, wie er das Geheimnis des aktuellen
Chefs der Cosa Nostra entdeckt hatte. Er hielt sich für eine Biopsie in
Versailles auf, in der Klinik eines Freundes, eines Chirurgen von Weltruf.
Eines Abends hörte er, wie im Nebenzimmer Italienisch [231] gesprochen wurde. Im
ersten Moment hatte er dem keine Bedeutung beigemessen. Viele wichtige
Landsleute nutzten diese Klinik, wo sie sich unter absoluter Wahrung ihrer
Privatsphäre von den besten Ärzten Europas behandeln lassen konnten. Auch er
selbst hielt sich anonym in Versailles auf, denn in jenen Jahren beschäftigten
sich die Zeitungen gegen seinen Willen häufig mit ihm, weil er ein enger Freund
und die rechte Hand des aufsteigenden Stars der italienischen Politik war. Da
er nicht wollte, dass seine Furcht, an Krebs erkrankt zu sein, bekannt wurde,
hatte er sich unter falschem Namen aufnehmen lassen. Der Aufenthalt in
Frankreich war doppelt erfreulich gewesen, denn man hatte ihm nicht nur
attestiert, dass er bei bester Gesundheit war, sondern er hatte auch dieses
Geheimnis entdeckt, für das viele ein Vermögen gezahlt hätten.
Es war
wirklich ein Zufall gewesen. Am Tag seiner Abreise nach Italien war er wie
immer früh wach geworden. Obwohl es erst sechs Uhr morgens war, beschloss er,
vor dem Frühstück ein wenig im Park der Klinik zu joggen. Als er gerade sein
Zimmer verließ, kamen aus dem Nebenzimmer zwei Pfleger, die ein Bett auf den
Gang hinausschoben, auf welchem er den durch die Narkose bereits in Schlaf
versetzten Matteo Trapani erkannte. Bei diesem Anblick ging er eilig zurück in
sein Zimmer, gerade noch früh genug, um von dem picciotto, der seinen Boss bis zum Operationssaal begleitete, nicht gesehen zu werden.
Bevor er
die Klinik verließ, war es ihm gelungen, mit Hilfe üppiger Trinkgelder zu
erfahren, unter welchem Namen der Pate sich dort aufhielt und welcher Art von
Operation er sich unterzog: einer plastischen Gesichtsoperation.
[232] Nach
Italien zurückgekehrt, hatte er niemandem erzählt, was er entdeckt hatte, denn
er war davon überzeugt, dass er nur so sein Leben schützen konnte. Doch in der
Situation, in der er sich nun befand, könnte sich das Wissen um die wahre
Identität von Lorenzo Malacrida für ihn vielleicht als sehr nützlich erweisen.
Er wusste,
dass – seit Totò ò zoppo und il Vecchio abgetreten waren – der Pate seine
Kontakte mit dem Rest der Organisation über zuverlässige Mittelsmänner pflegte,
die an der Spitze einiger der wichtigsten Familien der Insel und in den
Vereinigten Staaten standen und die ihrerseits die Beziehungen zu Politik und
Hochfinanz aufrechterhielten. Eine vielleicht etwas verquere Art, das Ganze zu
lenken, die sich jedoch als außergewöhnlich effizient erwiesen und Trapani die
Festnahme erspart hatte. Sein eigener Mittelsmann, der Sizilianer, gehörte zu
einer dieser Familien, und wenn es sich als nötig herausstellen sollte, würde
er diesen privilegierten Zugang nutzen.
Er
schüttelte den Kopf, und ein wehmütiges Lächeln legte sich auf seine Lippen.
Die Dinge hatten sich wirklich geändert seit damals, als er noch direkten
Kontakt zu Totò ò zoppo und il Vecchio unterhielt. Zu jener Zeit hatte er den
jungen Matteo Trapani kennengelernt, der dazumal lediglich ein
vielversprechender Mafioso war.
Durch diese
Gedanken fühlte er sich besser. Erleichtert nahm er das Buch von Keynes zur
Hand und fuhr mit seiner Lektüre fort.
[233] 32
»Die
italienischen Geheimdienste, die immer so tun müssen, als wären sie autonom,
werden unruhig«, sagte Alimante zu den beiden Chefs des Dienstes. »Die hohen
Tiere, deren wir uns für diesen Staatsstreich
Weitere Kostenlose Bücher