Die rote Agenda
Zürich zurückgekehrt, wo sie unter strengster Bewachung stand. Ogden
rief sie jeden Tag an, und ihre Gespräche waren zwar herzlich, ließen aber vieles
in der Schwebe. Beide wussten, dass ihre Beziehung in einer ernsten Krise
steckte, doch in einer stillen Übereinkunft hatten sie jede Erklärung auf die
Zeit nach Beendigung der aktuellen Operation des Dienstes verschoben.
Ogden,
immer überzeugter davon, dass er die Beziehung zu ihrem Besten abbrechen
sollte, war es gelungen, den Kummer, den diese Entscheidung ihm bereitete, in
einen Winkel seines Hirns – oder vielleicht seines Herzens – zu verbannen. Auch
wenn er es nicht wahrhaben wollte: Zuneigung hatte in seinem Leben keinen
Platz, und Liebe erst recht nicht. Bald würde er wieder der von früher sein,
bevor sie in sein Leben getreten war. Denn einer Sache war er sich sicher: Wenn
ihre Beziehung mit ihm bestehen bliebe, würde Verena immer in Lebensgefahr
schweben.
Franz fuhr
mit hoher Geschwindigkeit auf der schnurgeraden Autobahn, die Turin mit Mailand
verbindet. Als [253] sie die piemontesischen Hügel hinter sich gelassen und die
Grenze zur Lombardei passiert hatten, gelangten sie in die monotone Poebene.
Links und rechts der Straße zogen endlose flache Felder vorbei und lange Reihen
von Pappeln, deren kleine Blätter im Wind bebten.
Nach einer
Stunde erreichten sie das Mailänder Hinterland mit seinen Industriegebäuden und
gleichförmigen Schlafstädten. Als sie die Autobahnmautstelle und die Zubringer
hinter sich gebracht hatten, fuhren sie in die Stadt hinein, und das GPS wies ihnen den kürzesten Weg ins Zentrum. Sie kamen
pünktlich auf die Minute zu ihrem Termin mit dem Chefredakteur der
auflagenstärksten Tageszeitung Italiens.
»Warte hier
auf uns, es wird nicht lange dauern«, wies Stuart Franz an, während er und
Ogden aus dem Auto stiegen.
Sie
überquerten den Innenhof und wurden von einem Angestellten in Empfang genommen,
der sie unter Vermeidung der Metalldetektoren ins Innere des Gebäudes bis zum
Büro des Chefredakteurs brachte. Der Mann klopfte an die Tür, öffnete sie und
ließ sie eintreten, zog sich dann diskret zurück.
Der
Chefredakteur, der erst seit kurzem den begehrtesten Posten der italienischen
Presse innehatte, empfing sie mit ausnehmender Freundlichkeit in seinem Büro.
Er drückte ihnen herzlich die Hand, setzte sich dann an seinen Schreibtisch,
während Ogden und Stuart ihm gegenüber Platz nahmen. Ein paar Augenblicke lang
schwiegen alle drei.
Schließlich
lächelte der Chefredakteur. »Ihr Besuch ist mir angekündigt worden. Was kann
ich für Sie tun?«
Ogden und
Stuart erwiderten unisono das Lächeln: Sie [254] wussten diese geschickte und
diplomatische Strategie zu schätzen, hatten aber keine Skrupel, sie postwendend
an den Absender zurückgehen zu lassen.
»Herr
Chefredakteur, wir wissen, dass Sie den Grund, weshalb wir hier sind, bereits
kennen«, sagte Ogden höflich, doch resolut. »Deshalb erwarten wir nur, dass Sie
tun, worum Sie gebeten worden sind.«
Es war eine
ziemlich direkte Vorgehensweise, doch Ogden war nicht der Mann für formelle
Menuette. Stuart räusperte sich, um die Spannung zu lösen, und setzte eine
verbindlichere Miene auf, griff aber nicht ein.
Eine
leichte Röte färbte die Wangen ihres Gesprächspartners, und sein Blick, der bis
dahin einen beinahe jungenhaften Ausdruck gehabt hatte, wurde hart, alterte
ganz plötzlich.
Das Ganze
amüsierte Stuart, denn auch wenn er offener als Ogden war, hatte er nicht die
Absicht, mit irgendeinem Theater Zeit zu verlieren, dessen einziger Zweck darin
bestand, auf die Eigenliebe des Journalisten Rücksicht zu nehmen.
»Machen Sie
sich nichts daraus«, sagte er freundschaftlich, »mein Kollege ist ein wenig
schroff, doch die Ereignisse überstürzen sich, und wir haben nicht viel Zeit.«
Dann
öffnete er den kleinen Koffer, den er auf den Schreibtisch gelegt hatte, und
entnahm ihm die Fotokopien der Agenda. »Hier ist das, was Sie veröffentlichen
müssen, von A bis Z, in der Form und zu der Zeit, wie wir es Ihnen nun mitteilen.
Der Text wird gleichzeitig in mehreren Sprachen ins Internet gestellt, Sie
haben also nur wenige Stunden Vorsprung für Ihren Scoop. Ich bin sicher, dass
dieser journalistische Coup Ihre Popularität noch steigern wird. Wir haben [255] eine
abenteuerliche und sehr eindrucksvolle Geschichte vorbereitet, mit der Sie der
Welt erklären, wie Sie in Besitz der Agenda gelangt sind. Seien Sie beruhigt,
niemand wird
Weitere Kostenlose Bücher