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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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„Pferdefleisch zu verzehren ist uns untersagt. Doch
ich fürchte, seine Jagdhunde machen sich weniger aus kirchlichen Verboten.“
    Joan streut
weniger Hafer als sonst in den Trog, da Brix in Ermangelung ausreichender
Bewegung bereits zu fett ist. Stattdessen gibt sie Stroh in die Raufe, das
üblicherweise recht wenig nährt. Dabei hängt sie ihren Gedanken nach. Seit
dessen Unfall blieben Malcom Mac Gennons Besuche bisher erspart. Doch die Tage
schwinden dahin, ohne dass sie ausgelöst werden. An Malcoms häufiger
Schweigsamkeit bemerkt Joan, dass er in Sorge ist.
    Brix hatte bisher noch keine
Folgen für seine Tat tragen müssen. Joan mag nicht über sein Schicksal
nachdenken. Unter den gegebenen Umständen keimt in ihr wieder der Gedanke an
eine Flucht auf.
    Zufrieden verriegelt sie nun
Brix’ Stalltür und geht noch einmal zum Zwinger zurück, wo sie ihn eben noch
etwas bewegt hatte. Nachdenklich steht sie hinter dem Wehrturm mit der
Waffenkammer. Sie müsste sich somit über dem Gewölbegang zu den Kerkern
befinden. Ihr Blick schweift in Gedanken zur Zwingermauer. Diese ist vermutlich
tief gegründet und könnte die Außenwände des Kerkers bilden. Dann fällt es ihr
wie Schuppen von den Augen. Sie erinnert sich, dass sie damals als Kinder außen
an der Zwingermauer gespielt hatten und sich am Ende eines ebenerdigen,
niedrigen Ganges versteckt hielten. Dieser war so finster, dass sie sich nicht
weiter hinein wagten. Doch ihren geworfenen Steinen nach zu urteilen musste er
weiter geführt haben, somit unter der dicken Außenmauer hindurchgehen.
    Joan begibt sich in die Küche,
wo sie sich gedankenversunken an den Tisch setzt. Als Bess neben sie kommt,
grüßt sie diese lächelnd. Bis auf sie beide ist die Küche an diesem Nachmittag
wie leergefegt. Die kleine, dralle Frau stützt kopfschüttelnd die Hände in die
Seiten, um Joan daraufhin wieder hochzuziehen. Sie blickt nun zu ihr auf, wobei
sie das Kinn amüsiert in die Hand stützt.
    „Meine Güte, ich sollte dir
nichts mehr zu essen geben, Junge. ... Du bist mindestens um einen ganzen Kopf
gewachsen!“
    Joan sieht nachdenklich auf
Bess herab. Sie hat die Körperlänge eines mittelgroßen Mannes erreicht, was sie
alles andere als glücklich macht. Fürchtet sie sich doch regelrecht davor, noch
mehr zu wachsen. Nie zuvor fühlte sie sich derart unwohl in ihrem Körper, der
ihr nun ganz fremd erscheint. Als Frau findet sie sich schon beinahe hässlich.
Wie froh sie ist, dass Malcom sie so noch nicht sehen konnte.
    Bess hat an ihr herab geblickt.
„Aber du bist noch zu schmal“, legt sie fest, um ihr zur Untermalung eine große
Schüssel Fischsuppe mit frischem Dill vor die Nase zu stellen. Obendrein drückt
sie ihr eine Scheibe weißen Brotes in die Hand, welche sie zuvor noch dick mit
gesalzener Butter bestrich. Als Joan alles genussvoll aufgezehrt hat, reibt sie
sich schwerfällig über ihren vollen Magen. Dabei beobachtet sie, wie Bess mit
beiden Händen in einen Weidenkorb voller Kirschen greift und diese geschickt in
ein kleines Leinensäckchen gibt. Mit einem warmherzigen Lächeln steckt sie ihr
dieses zu.
    „Danke, Bess. Ich weiß wirklich
nicht, wie es ohne deine Hilfe gehen sollte“, bemerkt Joan seufzend zwischen
zwei Rülpsern.
    Bess winkt grinsend ab. „Wenn
ich einem unschuldigen Kind helfen kann, dann tue ich es.“ Sie wiegt den Kopf.
„Allmählich kann man dich jedoch nicht mehr als ein solches bezeichnen. Wenn du
weiter so wächst und nicht bald von hier verschwindest, komme ich in arge
Erklärungsnöte.“ Sie lacht. „Ich komme noch ins Gerede, wenn man mich mit solch
einem hübschen Burschen sieht.“
    Joan seufzt. „Was glaubst du,
wie schnell ich weg wäre, wenn es nach mir ginge. Deine gute Küche in allen
Ehren.“ Schwermütig stützt sie den Kopf in die Hände. „Irgendetwas ist schief
gegangen, es währt schon viel zu lange.“
    Bess runzelt die Stirn. „Ich
hoffe für dich, dass es nicht an dem ist. Andernfalls hast du keine rosige Zeit
vor dir, Jack. Wenn der Herr wittert, dass ihr ihm mehr kostet als einbringt,
wird er euch in eurem Verlies einfach in Vergessenheit geraten lassen.“
    Joan rollt mit den Augen.
„Schön, dass du es mir so schonend beibringst“, entgegnet sie mürrisch und
erhebt sich schwerfällig. „Schönen Gruß von Tom übrigens.“ Sie wendet sich ab,
um ein paar Schritte Richtung Tür zu schlurfen, wendet sich dann jedoch noch
einmal nach Bess um.
    Deren Blick ruht erwartungsvoll
auf ihr.

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