Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
Vom Netzwerk:
und beginnt, das traurigschöne
Lied vom Spielmann für ihn zu summen. Dabei streicht sie ihm tröstend übers
Haar und küsst seine Stirn. Malcom vergräbt das Gesicht in ihrem Schoß. So
verharren sie eine halbe Ewigkeit. Als er irgendwann zur Ruhe gekommen ist,
dreht er sich auf den Rücken herum und atmet laut vernehmbar durch. Joan beugt
sich zu ihm herab. Bedächtig küsst sie ihm übers Gesicht, während sie noch
immer summt. Als sie Blut an ihren Lippen spürt, lässt sie schwermütig seufzend
von ihm ab. Er tastet über ihre Stirn, nimmt ihren Kopf zwischen seine Hände
und streicht ihr durchs Haar.
    „Du tust mir gut. ... Und doch
wünsche ich dich weit weg.“
    Joan atmet durch. „Ich schwöre,
dass ich ihn umbringe, wenn er es noch einmal tut.“
    Malcom
antwortet nicht gleich darauf. Er bewegt sich, begleitet von Kettengerassel,
und setzt sich auf. „Du wirst nichts dergleichen unternehmen. Es kann nicht
mehr lange dauern, und wir sind frei.“
    Joan
beobachtet verstohlen, wie Mac Gennon durch die Öffnung in der Ringmauer tritt
und unaufhaltsam auf Jack und sie zukommt. Starr hält sie Brix an den Zügeln.
Vor Bitterkeit könnte sie Galle spucken. Besorgt wendet sie sich dem Tier zu
und streicht ihm über die Blässe. „Lass ihn aufsitzen, Brix. Ich bitte dich.“
    „Womit beschwörst du ihn?!“ Mac
Gennon ist an ihre Seite getreten. Er blickt kühl auf sie herab.
    „Ich habe ihn beruhigt. Ihr
seid fremd für ihn.“
    „Nicht mehr lange“, frohlockt
er.
    Ja, du Hurensohn. Er wird sich
daran gewöhnen, dich in den Dreck zu werfen. Alle Knochen sollen dir im Leibe
bersten.
    Grimmig betrachtet er ihr
feindseliges Gesicht, worauf sie ihm eilig die Zügel reicht. Besser, wenn er
nicht noch mehr in ihrer Miene liest. Etwas zögerlich nimmt er die Zügel
entgegen. Joan bemerkt erleichtert, dass er Ehrfurcht vor dem Streitross hat.
Den Sattelknauf umfassend stemmt er sich im Steigbügel auf den Rücken des
mächtigen Tieres hoch. Zu Joans Verwunderung steht Brix völlig still.
    Mac Gennon, indes sicher im
Sattel sitzend, blickt triumphierend auf das Pferd herab.
    Joan starrt Brix beunruhigt an,
da er unheilverkündend die Ohren angelegt hat. Unter lautem Wiehern steigt er
plötzlich beinahe senkrecht nach oben. Mac Gennon trifft es völlig
unvorbereitet. Joan springt zur Seite. Sie kann sich noch gut an ihre eigene
Überraschung erinnern, als sie Brix am Weiher zum ersten Male ritt. Er hat
immense Kräfte und ein unerwartetes Temperament. Mac Gennon hält sich gut. Die
mächtigen Muskeln von Brix’ Hinterbacken scheinen bis zum Bersten angespannt.
Wild rudert er mit den Vorderläufen durch die Luft, bis er sich unvermutet
ruckartig wieder nach unten fallen lässt. Er wendet abrupt und sprintet
sogleich los. Bisher konnte er seinen widrigen Reiter nicht abwerfen. Joan hält
den Atem an, als sie erkennt, dass Brix zielstrebig auf die Zwingermauer
zurast. Mac Gennon versucht vergeblich, ihn herumzureißen. Dann kommt, was
kommen musste. Kurz vor dem Aufprall stoppt Brix mit gesenktem Kopf. Seine
Vorderhufe pflügen durch die Erde, während Mac Gennon über den Kopf des Tieres
hinweg schaurig gegen die Außenmauer fliegt. Sein dumpfer Aufprall hallt
grässlich durch den Zwinger. Wie leblos bleibt er am Boden liegen.
    Joan und Jack tauschen
bestürzte Blicke und rennen los. Als sie bei Mac Gennon ankommen, verharrt
dieser noch immer reglos im Gras. Sein Gesicht ist blutüberströmt, der linke
Arm unnatürlich abgewinkelt, vermutlich ausgerenkt.
    „Er ist tot“, haucht Jack,
wobei er fassungslos neben ihm niederkniet.
    „Nein. Er atmet noch“, stellt
Joan beinahe enttäuscht fest. Sie kann kein Mitleid für ihn empfinden. Auch
wird sie ihm nicht die Schulter wieder einrenken, wozu sie durchaus in der Lage
wäre. Soll er doch Qualen leiden! So bedenkenlos, wie er diese anderen zufügt,
hat er keine bessere Behandlung verdient. Unberührt nimmt sie Brix bei den
Zügeln. Dieser steht ganz ruhig neben ihr, stupst ihr unschuldig mit dem Maul
gegen die Schulter. Joan untersucht ihn, tastet über einen von der Kandare
aufgerissenen Winkel seines Maules. Tröstlich tätschelt sie dem Tier die
Schulter. „Hätte nicht gedacht, dass du so nachtragend zu ihm sein könntest.
Besteigen wird er dich wohl nicht mehr, aber er könnte dich zu Pferdewurst
machen lassen.“
    Brix schnaubt.
    Angespannt
bläst sie die Luft aus. „Keine Angst“, murmelt sie zerstreut und streicht ihm
versonnen über die Blässe.

Weitere Kostenlose Bücher