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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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sie ihm
ihre schlimmsten Flüche angedeihen lässt. Als er sie endlich vor einer
Steintreppe auf die Füße stellt, baut sie sich fuchtig vor ihm auf.
    „Verstehst du das unter
höflichem Benehmen einer Dame gegenüber?“
    Er blickt sie belustigt an.
„Wir sind hier nicht bei Hofe und ich sehe auch keine Dame. Nur ein wütendes
Frauenzimmer in Männerkleidung, das wie ein Fischweib flucht und obendrein
hitzköpfig und zügellos einem meiner wenigen verbliebenen Ritter Prügel
androhte.“
    „Ooh!“ Sie kann sich nur
mühevoll beherrschen, ihm nicht vors Schienbein zu treten. „Irgendwie muss ich
mich doch gegen euch durchsetzen! ... Und behandle mich gefälligst nicht mehr
wie deinen Knappen!“
    Er runzelt die Stirn und setzt
zu einer Antwort an.
    „Heilige Jungfrau Maria, was
geht hier vor sich“, kommt ihm Blanche zuvor. Sie steht erstaunt auf der Treppe
und betrachtet den Auftritt. Dann rafft sie ihr Kleid, nimmt die letzten Stufen
zu ihnen galant herab und streckt Joan die Hand entgegen.
    Diese nimmt sie verblüfft.
    Blanche
mustert sowohl Malcom als auch Nigel kühl. „Komm Joan, die werden sich noch
wundern.“
    Joan steht
in Blanches Gemach. Gabriel liegt auf einer über die Dielen gebreiteten
Binsenmatte und spielt mit ein paar Gänsefedern, die wohl aus dem Federbett
stammen, unter welchem ihrer beider Vater liegt. Raymond schläft, weshalb sie
sich mit gedämpften Stimmen unterhalten.
    „Hat er etwas gegessen“, fragt
Joan besorgt.
    Blanche lächelt nickend. „Ich
flößte ihm vorerst ein paar Löffel von einer kräftigen Fleischbrühe ein. Sein
Magen muss sich ganz allmählich wieder an feste Nahrung gewöhnen. ... Doch wie
steht es um deinen Hunger, Joan?“
    Zur Antwort verdreht diese die
Augen und legt eine Hand über ihren knurrenden Magen.
    Blanche lächelt verstehend.
„Die anderen sitzen bereits beim Morgenmahl in der Großen Halle. Doch ich
wollte dir zuvor noch etwas zeigen.“ Sie begibt sich zu einer großen eichenen
und mit Schnitzwerk reich verzierten Truhe neben dem Bett und öffnet diese.
Während sie darin herumwühlt, dringt das Gekicher einer Kinderstimme dumpf
unterm Bett hervor.
    „Isabella, nun komm endlich
hervor und beweise wenigstens einen Hauch von Anstand“, fordert Blanche
ärgerlich. Mit einer Rolle feinen Tuches unter dem Arm richtet sie sich wieder
auf und wendet sich Joan mit den Augen rollend zu. „Ich habe ihr wohl zu viel
durchgehen lassen.“ Dabei nimmt sie das Tuch hervor, das aus leuchtend grünem
Samtstoff besteht, und lässt es nach unten aufrollen. Es entpuppt sich als ein
herrliches Kleid, bei dessen Anblick Joan überrascht den Atem anhält.
    Blanche tritt vor sie und hält
es ihr prüfend gegen die Schultern. „Es ist mir zu groß, ich habe es noch nicht
abgeändert. Dir sollte es passen.“
    Joan macht große Augen. „Du
willst, dass ich es trage?“
    „Natürlich nur, wenn du es
möchtest.“
    „Aber ja. Es ist sagenhaft
schön.“
    Blanche zeigt in einem
fröhlichen Lächeln zwei Reihen schneeweißer Zähne. „Freut mich, dass es dir
gefällt. Du wirst sehen, dass diese Rohlinge wie ausgewechselt sein werden“,
meint sie mit einem verschwörerischen Zwinkern.
    Joan jedoch runzelt die Stirn.
„Das wage ich zu bezweifeln.“
    Blanche lacht heiter. „Du
unterschätzt die Waffen einer schönen Frau.“ Sie beugt sich noch einmal über
die Truhe und wühlt erneut darin herum. Alsbald richtet sie sich mit einem
feinen Hemd von goldgelber Farbe und mit grün bestickten Borten am Ausschnitt
und den langen, engen Ärmeln wieder auf. „Ich begleite dich auf deine
Kemenate.“
    Joan lässt sich von ihr zu
ihrer Kemenate führen und eilt sich dort, mit ihrer Hilfe ins Kleid zu
schlüpfen. Als es vollbracht ist, blickt Joan verzaubert an sich herab. Ihr
grünes, tailliertes Kleid sitzt wie angegossen. Eine Schnürung auf dem Rücken
lässt es eng anliegen. Kleine Kugelknöpfe aus Perlmutt verschließen das Oval
des Ausschnittes, an dem das darunter liegende goldgelbe Hemd mit der in
passendem Grün abgesetzten Borte am Hals zu Tage tritt. Die Ärmel des Kleides
schmiegen sich hauteng um ihre Oberarme, um danach hinten an den Ellenbogen in
je einem schmalen Streifen weiterzuführen, der ihr bis auf Höhe der Knie
herabreicht. Die Hängeärmel geben somit den Blick verspielt auf das Goldgelb
der engen Hemdärmel frei, die seitlich der Handgelenke ebenfalls durch kleine
Perlmuttknöpfe verschlossen sind und spitz zulaufend am Beginn der

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