Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
Vom Netzwerk:
abwesend.
    Das Gewitter draußen tobt indes
wie entfesselt.
    Malcom stößt hörbar die Luft
aus. „Ich schlage drei Kreuze, wenn John endlich wieder zurück ist“, meint er
versonnen.
    „Hm?“ Sie hat ihm nur halb
zugehört, starrt stattdessen wie gebannt auf die Lichtspiele, welche die Blitze
gegen die Wand werfen. Unterschwellig nimmt sie einen sanften Kuss auf ihren
Lippen wahr, den sie zerstreut erwidert. Allmählich zieht er sie jedoch in
seinen Bann, so dass sie sich schließlich nur noch Malcoms Mund widmet.
    Er lässt von ihr ab und
begegnet ihrem fragenden Blick. „Habe ich nun endlich deine geschätzte
Aufmerksamkeit?“
    Sie zieht grübelnd die Stirn
kraus.
    „Ich sagte, es wird Zeit, dass
John zurückkommt. Den nächsten Gerichtstag muss ER wieder abhalten.“
    Joan schiebt die Unterlippe mit
zuckenden Schultern vor. „Es ist ja noch ein Monat Zeit bis dahin. ... War es
so unerfreulich?“
    Er winkt ab. „Ich bin der
Grenzstreitigkeiten, Eierdiebe, lästernden Bauersweiber, streitenden Nachbarn
und falschen Erben überdrüssig. ... Stell dir vor. Alle zwölf Geschworenen
waren heute sturzbesoffen.“
    Sie lacht ungläubig auf.
    „Ich fand es gar nicht komisch.
Sie feierten gestern eine Hochzeit im Dorf.“
    „Was hast du getan?“
    Er seufzt. „Ich hab’s leider
nicht gleich bemerkt und erst nach der Vernehmung festgestellt. ... Es blieb
mir nichts weiter zu tun übrig, als sie nach Hause zu entlassen, nachdem ich
vorher den Gerichtstag auf nächste Woche verschoben hatte.“
    Sie hält sich belustigt eine
Hand vor den Mund. „Du warst sicher mächtig wütend. Wirklich zu schade, dass
mir dies entging“, bedauert sie scherzhaft.
    „Dann hätte ich es auch gleich
auf der Burg veranstalten können, so wie immer.“
    „Ja.“
    „Nein! ... Zu gefährlich für
dich und Raymond. Wer kann wissen, wer sich so alles einschleicht. ... Du hast
wirklich nichts verpasst.“

Schuldgefühle
    „Es holt
herbei Sankt Michael, die Lampe wieder und das Öl“, murmelt Joan beim Anblick
des spärlichen, bereits unruhig flackernden Öllichtes auf ihrem Tisch. Es liegt
in den letzten Zügen. Im Normalfall jedoch brennt es heller und länger als ein
Talglicht. Pünktlich an Michaeli hatte Blanche die tönernen Lampen verteilen
lassen, was Joan nur willkommen war. Vermag sie doch die wieder kürzer
werdenden Tage damit noch etwas zu verlängern, um sich ihren Kräutern zu
widmen. Sorgfältig versiegelt sie die letzte irdene Flasche der
entzündungshemmenden Tinktur aus Arnika, welche sie in Weingeist auszog, und
kann ihren knurrenden Magen nicht länger ignorieren. Es ist längst Zeit fürs
Abendmahl und sie ist schon wieder zu spät dran. Ein eindeutiger Nachteil des
Öllichtes. Mit vom langen Sitzen steifen Gliedern erhebt sie sich schwerfällig
und beeilt sich nun so gut sie vermag, endlich in die Halle zu gelangen.
    Das Gelage im Saal ist in
vollem Gange. Joan bahnt sich einen Weg über Jagdhunde und kreischende Bälger
des Gesindes hinweg zum Quertisch, wo sie an Malcoms Seite Platz nimmt. Sie
lässt den Blick flüchtig in die Runde schweifen. Ihr schräg gegenüber sitzen
Blanche, Raymond und Gabriel sowie Gerold. Nigels Platz ist leer. An das
Gesicht ihres Vaters hier an der Tafel muss sie sich noch gewöhnen. Er speist
erst seit wenigen Tagen mit ihnen zusammen. Zwar hat er schon zugenommen und
seine Haut wirkt wieder gesund, doch ist er bei Weitem noch nicht der Alte. Er
hat seine ursprüngliche Kraft noch nicht wiedererlangt und ermattet schnell.
Das Grau seines Haares wird nun ewig an jene schwere Zeit erinnern. Der Anblick
der vielen leeren übrigen Plätze am Quertisch lässt sie bei jeder Mahlzeit
schmerzhaft Malcoms gefallener Ritter und deren Knappen gedenken. Zwar
überlebte etwa die Hälfte der jungen Burschen die Schlacht von Bannockburn,
doch müssen sich jene nun nach neuen Dienstherren umsehen. An den beiden
Längstischen sitzt das Gesinde mit dessen vielzähligen Kindern beim Schmaus.
Mägde und Knechte aus Küche, Stallungen, Backstube, Waschhaus sowie der Schmied
hocken auf den Bänken beieinander. Nicht zu überhören auch die Waffenknechte,
welche in diesen Tagen vor allem die Bewachung der Burg sowie unter Malcoms
Führung die Eintreibung der bäuerlichen Abgaben zur Aufgabe haben.
    „Unpünktlichkeit ist der Frauen
Zier“, stichelt Malcom, wenig erbaut über ihre Verspätung. „Diesen Spruch
bedienst du zur Genüge. Warum nur bist du immer die Letzte an der Tafel, die
kommt und

Weitere Kostenlose Bücher