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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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fixiert sie. „Amál scheint
wohl ebenfalls meiner Meinung zu sein.“
    Joan horcht auf. Sie begegnet
seinem herausfordernden Blick, den er daraufhin verdrießlich abwendet.
Schweigend widmen sie sich wieder dem Weihnachtsbraten. Sie spürt, dass es sie
kaputt macht. Doch es sollte nicht mehr lange so währen. Amál wird morgen in
aller Frühe abreisen, wovon vorerst noch nicht einmal Malcom etwas ahnt.
Allerdings weiß sie nicht, wie sie sich entscheiden soll. Fühlt sie sich doch
zu beiden hingezogen. Malcom zu verlassen kann sie sich nicht vorstellen. Zu
viel hat sie mit ihm erlebt, zu vertraut ist ihr jede einzelne Geste an ihm.
Doch Vieles ist so kompliziert mit ihm, er selbst eingeschlossen. Sie fragt
sich oft, ob sie eigentlich zueinander passen. Durch Amál ist plötzlich alles
in Frage gestellt. Durch ihn weiß sie, wie sehr Malcom sie einengt, wie
dominant er ist. Andernfalls glaubt sie manchmal, genau solch einen
Gegenspieler zu brauchen. Jemanden, der sie im Zaum halten kann, zu dem sie
aufsehen kann.
    Wie oft wünschte sie, Malcom
möge des nachts endlich zu ihr kommen. Zwei mal stand sie bereits vor seiner
Tür, brachte es jedoch nicht fertig, einzutreten. Ihr schlechtes Gewissen ihm
gegenüber hinderte sie daran. Überdies kam sie sich schäbig vor. Würde er
hingegen SIE aufsuchen, wäre sie sich seiner Vergebung gewiss.
    Doch auch Amáls wegen lag sie
oft halbe Nächte lang wach, dachte an seine aufregenden Küsse, die verspielte
Art, mit der er sie liebte und an seine verlangenden und zugleich traurigen
Blicke, welche er ihr so oft heimlich sendet. Sie würde seinen übermütigen Witz
und ungezwungenen Charme schmerzlich vermissen. Mit ihm erscheint das Leben um
so viel leichter und unbeschwert. Er lässt sie sein, wie sie ist.
    Appetitlos verzehrt sie den
Rest ihres Bratenstückes. Trotz ihres bereits vollen Magens greift sie zu einem
kleinen Stück gebratenen Lachses, da Fisch nach altem Glauben für Leben und
insbesondere Fruchtbarkeit steht, die sie für sich nicht nur im neuen Jahr
erhofft. Sie blickt in die Runde. Die Stimmung ist ausgelassen. Leander geht
herum und spielt die Laute zu irgendeiner Weise. Sie scheint lustig zu sein,
nach dem Lachen und Gejohle an allen drei Tafeln zu urteilen. Joan achtet nicht
auf die Verse, betrachtet hingegen wieder verstohlen Leander. Seine Kleidung
ist nach Art der Spielleute auffällig bunt, die engen Beinkleider von blutroter
Farbe, der kurze Mantel mit einer Kapuze in Mi-parti gehalten, dem Modestil,
nach dem Kleider an deren Längsachse von zwei Farben geteilt sind. So ist die
eine Mantelhälfte in leuchtendem Rot, die andere in Blau gehalten. Er hat sich
nicht verändert, ist für sie mit seinem ebenmäßigen Gesicht, den herrlich
blauen Augen, der bis kurz über die Schultern reichenden Flut blonder Locken
und der athletischen Gestalt noch immer Sinnbild eines schönen Mannes. Ihr
Blick wandert zu Amál. Er stochert gleichgültig in einer kleinen Schüssel mit
Linsensuppe herum. Ab und zu antwortet er Gerold oder Nigel neben ihm. Die
meisten scheinen schon angetrunken zu sein. Dann und wann erhebt sich jemand,
um sich im Abtritterker des ersten Stockes zu erleichtern. Blanche plaudert mit
Miriam, Johns Tochter. Isa knabbert lustlos an einem Bratapfel herum und sieht
müde zu Joan herüber, worauf sie sich zulächeln. Das Gesinde genießt zur Feier
des Tages die gleichen Speisen wie sie. Der Saal ist festlich mit Tannengrün,
Stechpalmen, Efeu und etlichen Mistelzweigen geschmückt, unter denen immer mal
wieder lachend geküsst wird. Die Hunde liegen träge mit dick gefressenen
Bäuchen umher und rühren keinen der hingeworfenen Knochen mehr an.
    Malcom neben ihr erhebt sich
und verlässt die Halle just in dem Moment, als Leander ein neues Lied anstimmt.
Joan kommt es auf Anhieb bekannt vor und sie horcht auf. Es ist die
traurigschöne Weise, welche sie selbst schon so oft gesummt hat. Sie entspannt
sich allmählich, hört einfach nur zu. Wie im Traum taucht plötzlich Malcom
wieder auf und starrt auf den Spielmann. Er scheint die Melodie erkannt zu
haben. Joan belustigt seine Reaktion, mit der er seinen Argwohn zum Ausdruck
bringt. Grinsend schüttelt sie den Kopf über ihn. Leander singt unbeirrt
weiter, blickt sie dabei unverwandt mit seinen veilchenblauen Augen an. Er
kommt auf sie zu und bleibt ihr gegenüber stehen. Ihr ist, als wenn er nur für
sie sänge. Wie damals ... Er wollte am darauffolgenden Tag nur für sie allein
singen. ... Es

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