Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
Vom Netzwerk:
lächelt, wobei
ihm eine Träne die Schläfe herab ins rotblonde Haar rinnt.
    Joan küsst ihm die Stirn.
„Grüße Phil von mir und gebt auf uns Acht.“ Sie kann ihre Tränen nicht länger
zurückhalten.
    Kraftlos schließt er die Augen.
    Joan erhebt sich. Er wird
allein sterben, ohne seine Sünden gebeichtet zu haben. Sie wendet sich von ihm
ab, wischt sich über die Augen. Doch alles erscheint ihr weiterhin
tränenverschleiert und unwirklich, wie in einem Alptraum. Sie geht auf die
Tafel zu. Die Stimmen dringen ihr eigentümlich wiederhallend ans Ohr. Unsanft
stößt sie die Menschen beiseite und erheischt einen Blick auf Malcom, der am
Boden liegt. Raymond ist bei ihm und hält über ihn gebeugt seine Hände fest.
John drückt ihn an den Schultern nach unten, Gerold sitzt auf seinen Beinen.
Ungerührt registriert sie Blanches verweinten Blick, während sie sich einen Weg
zu Malcom bahnt. Sie kniet sich neben ihn und erstarrt, als sie die grauen
Gedärme erblickt, welche ihm aus dem aufgeschlitzten Bauch gequollen sind.
Bestürzt schaut sie ihm ins kreidebleiche Gesicht. Er versucht stöhnend, aus der
Umklammerung auszubrechen, wobei er unerhört gotteslästerlich flucht. Seine
Stimme dringt mit einem Male ganz zu ihr durch und plötzlich hebt sich ein
unsichtbarer Schleier vor Joan. Sie sieht nun ganz klar. Die Gedanken strömen
auf sie ein. „Nicht verletzt. ... Seine Gedärme sind nicht offen.“ Jegliches
Gefühl schiebt sie beiseite. Sie fetzt seine Tunika auf und beginnt, ihm die
Eingeweide vorsichtig zurück in die Bauchhöhle zu stopfen. „Malcom, bleib
ruhig.“ Sein Blick ist nicht klar. Er bäumt sich weiterhin auf, was ihr die
Handgriffe erschwert. So lässt sie von ihm ab.
    „Isa!“ Sie hält nach ihr
Ausschau. „Isa, komm bitte her!“
    Das Kind taucht ängstlich neben
ihr auf und vermeidet jeglichen Blick auf Malcom.
    „Geh in meine Kammer und bring
mir das Pulver des Bilsenkrauts und die Flasche Arnikatinktur. ... Eil dich!“
    Isa nickt und stürzt los.
    Joan blickt sich um. „Blanche.
Hol dein Nähzeug. Lauf, so schnell du kannst.“ Als Blanche mit zweifelndem
Blick zögert, wird Joan nervös. „Vertrau mir.“ Blanche nickt und verschwindet
in der Menge.
    „Ich brauche einen Kelch mit
Wein! Außerdem Wasser! Und jemand soll mir Fiona holen!“
    John ergreift sanft ihren Arm.
„Joan, lass ihm seinen Frieden. ... Du kannst nichts mehr für ihn tun“, dringt
er mit ruhiger Stimme auf sie ein, woraufhin sie sich fuchtig von ihm losreißt.
Malcom richtet sich auf.
    „John, halt ihn verdammt noch
mal fest. Wenn seine Gedärme verletzt werden, kann ich ihn nicht mehr retten!“
    John drückt ihn wieder
herunter. „Joan! Du willst es nicht wahrhaben!“
    Sie kann sich nur mühevoll
beherrschen, ihm keine Ohrfeige zu verpassen. „Ich weiß, was ich tue“, raunt
sie erzürnt, indes sie ihn anblitzt.
    Raymond lacht plötzlich ein
wenig zu laut. Sein Gesicht ist blutverschmiert. Aus einer klaffenden Wunde am
Hals sickert unaufhörlich Blut, das seine helle Tunika im Bereich der Brust
bereits dunkelrot gefärbt hat. „Widersprich ihr nicht! ... Was kann NOCH
geschehen? ... Wir können ihn doch nicht einfach krepieren lassen!“ Er ringt
sichtbar um seine Fassung.
    Joan steckt Malcom wieder die
herausgerutschten Gedärme in den Bauch. „Gott, steh uns bei“, raunt sie,
währenddem sie darauf achtet, dass sich die Schlingen nicht verknoten oder
gegenseitig abschnüren. Dann drückt sie ihm die Hände über den offenen Bauch,
damit nichts erneut herausquillt. Fiona ist plötzlich neben ihr und erfasst
bestürzt die Lage. Kurz nach ihr kommt Isa atemlos zurück, gefolgt von Blanche.
    Joan macht Fiona Platz und
bedeutet ihr, neben sie zu kommen. „Halte seinen Bauch zu.“
    Fiona tut, wie ihr geheißen,
womit Joan die Hände frei hat. Sie wendet sich an Isa, der sie das Fläschchen
mit dem Pulver des Bilsenkrauts abnimmt. „Der Wein!“
    Jemand reicht ihr einen vollen
Kelch, von dem sie sogleich einen Schluck nimmt und zum Sauberspülen im Mund
behält. Währenddessen gießt sie eine geschätzte Menge überschüssigen Weins
neben sich ins Stroh, stellt den Kelch auf dem Boden ab und zieht den Korken
aus der Flasche mit dem Schlafkraut. Behände schüttet sie sich etwas von dem
Pulver in die hohle Hand und gibt davon einige Prisen in den Weinkelch. Den
Rest streicht sie sich von der Hand und rührt mit dem Zeigefinger den Wein um.
Dann erst schluckt sie den Wein in ihrem Mund herunter.

Weitere Kostenlose Bücher