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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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„Daran siehst du mal, wie oft wir hier
überfallen werden!“

Das
„Gottesurteil“
    „Ich habe
euch hier zusammen kommen lassen, weil ich mindestens einen Verräter unter uns
vermute. Sein Komplize ist uns bisher leider entkommen. Es ist der Stallbursche
Sam.“ Malcom steht am Kamin und wartet ab, bis sich das verwunderte Gemurmel
gelegt hat. Bis auf Raymond, John und Amál in seiner Nähe überragt er die Menge
um etwa eine Haupteslänge, was ihn im Zusammenspiel mit seinen in die Seiten
gestützten Händen und der donnernden Stimme bedrohlich wirken lässt. „Er war
sich seiner Sache so gewiss, dass er gar seine Tarnung aufs Spiel setzte, um
nicht mit euch im Kerker zu landen. Er nahm den Tod eines Kindes und von fünf
Waffenknechten frevelnd in Kauf, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Wenn wir
hier fertig sind, lasse ich ihn von meinen Hunden zu Tode hetzen.“ Er legt eine
kurze Pause ein, um seine Worte wirken zu lassen. „Doch kann er sein Werk
schwerlich allein begangen haben. Seid versichert, dass wir mit einem
Gottesurteil herausfinden werden, wer mit Sam unter einer Decke steckt. Es gibt
kein Entrinnen.“ Beunruhigtes Gemurmel entsteht unter den etwa drei Dutzend
Menschen.
    Malcom hebt die Stimme, um sie
zu übertönen. „Wer Verrat begangen hat, möge sich jetzt zu erkennen geben und
ich werde bei einem triftigen Grund für sein Vergehen Gnade walten lassen.“
    In der aufkommenden Stille
werfen die Umherstehenden neugierige Blicke in alle Richtungen, doch niemand
tritt hervor.
    Malcom tauscht daraufhin mit
Raymond und Amál vielsagende Blicke. Diese nicken ihm verstehend zu, um gleich
darauf geschäftig in die Vorhalle zu eilen.
    „Also gut. Dann fällt der Herr
das Urteil. Knien wir nieder und rufen ihn an.“
    Alle tun wie geheißen, falten
die Hände und senken die Köpfe, um zu beten. Auch die Edlen. Als das Geraschel
der Kleider und das Klirren der auf dem Steinboden über der spärlichen Streu
aufkommenden Schwertscheiden verklungen ist, ertönt erneut Malcoms raue Stimme.
Er bittet den Herrn um Beistand und um die Bloßstellung der Verräter in ihrer
Mitte. Joan beobachtet ihn verstohlen. Er wirkt unnahbar und ist ihr
beängstigend fremd. Sie hat nicht die leiseste Ahnung, was er vorhat. Ihr kommt
der Verdacht, dass sein einschüchterndes Auftreten so gewollt ist. Sie wird aus
ihren Gedanken gerissen, als er sich erhebt und tut es ihm wie alle anderen
nach. Robert in ihren Armen beginnt zu wimmern, worauf sie ihn sanft wiegt.
Sogar die Kinder sollten auf Malcoms Geheiß nicht fehlen. Als sie wieder nach
vorn blickt, gewahrt sie Amál und ihren Vater bei ihm. Sie halten etwas in den
Händen.
    „Hört gut zu, ich erkläre es
nur einmal“, ruft Malcom, nimmt Amál etwas aus der Hand und hält es hoch. „Das
hier sind Strohhalme. Es sind mehr, als Menschen in der Halle anwesend sind.
Einige von ihnen sind drei Finger breit länger, als der Rest. Mit Gottes Hilfe
werden die Unschuldigen unter euch die kurzen Halme ziehen, die Schuldigen
jedoch die langen.“ Er hebt die Stimme, um die aufkommende Unruhe zu übertönen.
„Kommt nun vor und zieht. Geht dann hinüber zu Amál und Kenneth und liefert
einer nach dem anderen eure Halme ab. Ich gebiete euch, bei allem still zu
schweigen, um den Beistand des Herrn nicht zu stören.“
    „Sie sollen auch ziehen“,
fordert der Schmied lautstark, indes er auf Kenneth und Amál zeigt. Er erntet
von den anderen zustimmende Worte.
    „Sie haben bereits gezogen.
Seht selbst.“ Malcom weist mit dem ausgestreckten Arm zu seinen beiden Rittern
ihm gegenüber. Jeder von ihnen hält einen Halm in der Hand. „Kurze Halme“,
betont er. „Jeder auf der Burg zieht. Abgesehen von den Säuglingen auch die
Kinder. ... Jetzt kommt vor.“
    Joan geht mit gutem Beispiel
voran. Mit mulmigem Gefühl kommt sie vor Malcom, obwohl sie im Grunde nicht das
Geringste zu fürchten hat. Reinen Gewissens zieht sie ihren Halm und macht dem
Nächsten neben ihr Platz. Während sie den Halm betrachtet, geht sie langsamen
Schrittes zu Amál hinüber. Sie kann nicht abschätzen, ob sie einen langen oder
kurzen Halm in der Hand hält, da ihr der Vergleich fehlt. Als sie ihn an Amál
weiterreicht, hält er ihn gegen seinen eigenen Halm, steckt ihn sorgfältig in
seine Gürteltasche und zwinkert ihr grinsend zu. Sie atmet erleichtert auf, um
dann dem Gedränge aus dem Wege zu gehen. Insgeheim scheltet sie sich ob ihrer
Angst. Ihr kommen gar Zweifel an ihrem Gottesglauben. Agnes

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