Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
Vom Netzwerk:
scheint erstaunt. „Du
stillst ihn selbst?“
    Joan bedenkt ihn mit einer
herausfordernd gehobenen Braue. „Ja. Er ist für mich wie ein eigener Sohn“,
erwidert sie schneidend. In ihrem Herzen rührt sich erneut tiefe Traurigkeit.
    Ulman betrachtet sie noch kurz
mit nachdenklicher Miene, um sich dann taktvoll zum Fenster abzuwenden.
Versonnen streicht er über das Pergament davor. Dann räuspert er sich.
„Manchmal glaube ich, das Glück zerrinnt mir wie Sand zwischen den Fingern. Es
lag ganz nah vor mir, doch ich griff selbstverliebt und verblendet nach den
Sternen. ... Könnte ich die Zeit zurückholen, würde ich alles anders beginnen.
Bis an mein Lebensende werde ich mir vorwerfen, dass ich sie allein zurück ließ.
... Es sollte lediglich für ein paar Tage sein, doch es wurden Monate daraus,
in denen es mir nur hin und wieder möglich war, sie zu besuchen.“ Er seufzt
schwermütig. „Sie konnte aber auch so verdammt stur sein.“
    Joan bemerkt, dass er Fiona um
einiges besser kannte, als sie selbst. Nicht im Traum hätte sie gedacht, dass
er ihr einmal sein Herz ausschütten würde.
    Er dreht sich bedrückt zu ihr
herum. „Ich habe noch nie mit einer menschlichen Seele über sie reden können.“
    Joan nickt wortlos. Es geht ihr
ähnlich. Jeder, sogar Malcom, hat Vorbehalte gegen Fiona. „Hat sie dir
gegenüber etwas von ihren Fähigkeiten preis gegeben?“
    Ulman lächelt. „Nein. Nachdem
sie mir zur Flucht verhalf, erkrankte ich schwer. Ich hegte keinen Zweifel
daran, zu sterben. Doch sie vollbrachte Unvorstellbares. Allein aus ihrer
inneren Kraft heraus. Sie gab mir mein Leben zurück, indem sie mir von dieser
Kraft abgab. Seitdem sehe ich diese Lebenslichter, oder wie immer man es nennen
soll. Ungewollt öffnete sie mir ein Tor in eine neue Welt.“
    „Ungewollt“, hakt sie fragend
nach.
    Er nickt und setzt sich auf den
Schemel neben dem Fenster. „Wenn ich sie voller Verwunderung nach dem Ursprung
und Sinn der Farben fragte, lächelte sie nur geheimnisvoll und legte einen
Finger über die Lippen. Ich glaube, es lag nicht in ihrer Absicht, dass ich
diese Farben plötzlich sehen konnte.“
    Joan nickt. Es bestätigt Rian
und Malcom in deren abweisender Haltung ihren Fähigkeiten gegenüber, was ihr
nicht mehr ganz unverständlich ist. „Ich glaube mittlerweile, dass ich ganz
unverdient zu diesem Wissen gelangte. Sicher bin ich nicht reif dafür.
Vermutlich muss man sich dieses Wissen erst verdienen. Es steht uns nicht zu,
es zu nutzen“, wirft sie ein.
    Er ist nachdenklich. „Es ist
eine Gabe, Joan. Man kann sie nutzen, um zu ergründen, ob jemand lügt. Seine
sich ändernden Farben verraten es. Ich fand heraus, dass man gar vermag, in die
Gedanken eines anderen einzudringen, von seinen Erfahrungen zu schöpfen. Und im
gleichen Maße, wie man jemandem etwas von seiner Kraft geben kann, vermag ein
anderer, etwas vom Licht und damit von der Kraft zu stehlen. Ich sah es oft bei
schwer Kranken, die es unbewusst ihren Besuchern antaten.“
    „Deine Worte erstaunen mich.
Sie bezeugen überdies, dass du oft mit dem zweiten Blick siehst, etwas, wovor
ich gewarnt wurde.“
    Er zuckt gleichgültig die
Schultern. „Ich gewann dadurch Klarheit über Henrys gespaltene Zunge, seine
Abgründigkeit. Obwohl er mich wie einen Sohn aufnahm, kenne ich erst jetzt sein
wahres Gesicht.“
    „Weiß er davon?“
    Er nickt.
    „Dann hoffe ich, es wird nicht
zu deinem Verderb sein.“
    „Nein. Er liebt mich wie einen
Sohn. Zwar habe ich mich von ihm abgewandt, da ich seine Pläne nicht länger gut
heißen kann. Doch ich verdanke ihm viel und er ist mir noch immer wie ein
Vater. Ich gehe jetzt lediglich meinen eigenen Weg. Das heißt nicht, dass ich
ihn aus den Augen verlieren werde.“
    „Du balancierst zwischen zwei
Erzfeinden“, gibt sie zu bedenken, worauf er zu ihrer Überraschung in ein
argloses Lachen verfällt. Sie sieht ihn zum ersten Male heiter und muss
beklommen feststellen, wie verteufelt gut es ihm steht. Seine veilchenblauen
Augen strahlen nun, als hätten sie noch nie traurig geblickt.
    „Ich bin
mit Leib und Seele Sänger und Gaukler. Balancieren ist meine Passion“, gesteht
er zu ihrer Belustigung.
    Die Tafel
ist aufgehoben und wurde bis auf eine Bahn aus der Halle getragen. An dieser
sitzt Malcom mit seinen Rittern. Er hatte mit ihnen zuvor im Hof ein Hühnchen
gerupft, was ihre Sauflust betrifft, womit die Stimmung gedrückt ist. Timothy
hat mit einigen von Amáls Männern bei ihnen Platz

Weitere Kostenlose Bücher