Die rote Farbe des Schnees
anstrengender Tag bevor. Sie blickt sich nach Brix und
den Saumpferden um, denen es nichts auszumachen scheint. ... Zumindest noch
nicht. Joan lässt ihren Gedanken daraufhin freien Lauf. Sie sinnt über ihren
Traum nach. Aus Erfahrung weiß sie, dass es keiner jener gewöhnlichen Alpträume
war, die sie plagen, seit sie denken kann. Nicht immer wusste sie, diesen
Umstand gut zu verbergen. Besonders nicht vor Gwen, der alten Kräuterfrau, der
sie sich schließlich anvertraute. Diese bestätigte ihr dann, was sie insgeheim
schon immer ahnte. Sie träumt mitunter hellsichtig. Insbesondere dann, wenn es
sich um solch deutliche Träume wie jenem in der vergangenen Nacht handelt. Eine
Gabe, vor der sie sich nicht fürchten solle, hatte Gwen sie geheißen. Sie hatte
ihr erklärt, dass die früheren Menschen, die sich vor dem Sündenfall noch im
Ursprung und Heil befanden, also so waren, wie von Gott gedacht, stets im Traum
prophetisch Umschau hielten. ... Doch gewiss wurden sie in ihrer paradiesischen
Welt nicht von solch angsteinflößenden Träumen geplagt! Joan fragt sich, wie
man es wohl anstellen soll, von einem solchen wie in der letzten Nacht NICHT in
Angst und Schrecken versetzt zu werden.
Der Tag
neigt sich seinem Ende zu. Joan ist erschöpft, doch nicht am Ende ihrer Kräfte.
Schnell hat sie sich auf die neuen Umstände und die Belastung eingestellt. Die
Straße ist beinahe wieder unbelebt, keine Spur mehr von dem vielen bunten Volk,
das auf ihr den Tag über unterwegs war und dem sie immer wieder umständlich
ausweichen mussten. Größtenteils jedoch sprangen Pilger, Kaufleute, Handwerker,
Spielleute, Bettler und andere bei ihrem Anblick ehrfürchtig schnell beiseite
oder fuhren mit ihren Karren an den Straßenrand, um sie argwöhnisch zu beäugen.
... Die meisten von ihnen werden sich nun beeilt haben, noch vor Torschluss
zurück hinter die schützenden Mauern der umliegenden Städte oder in ihre Dörfer
zu gelangen. Nur wenige wagen eine Übernachtung unter freiem Himmel, Outlaws
und anderen Halunken sowie wilden Tieren ausgesetzt. Ihren schwergerüsteten
Trupp hingegen wagt wohl niemand so schnell zu behelligen. Vor und hinter ihnen
sind ebenfalls noch andere Soldatengruppen unterwegs. Joan lenkt ihren Rappen
um ein großes Loch in der Straßenpflasterung herum. Auf diese Art ist die
Straße abschnittsweise dann und wann erheblich beschädigt. Die klaffenden
Löcher erfordern Joans ganze Aufmerksamkeit. Allmählich glaubt sie, dass die
Steine dort absichtlich entnommen wurden. Vielleicht zum Häuserbau. Dann wieder
ist die Straße in solch ausgezeichnetem Zustand, die Pflastersteine eng aneinandergefügt,
dass man annehmen möchte, sie bestünde aus einer soliden, einfach umgekippten
und endlos erscheinenden, schmalen Mauer.
Endlich verlangsamt Malcom das
Tempo und biegt von der Straße ab. Sie sammeln sich auf einer kleinen Lichtung
und sitzen ab. Es geht seinen üblichen Gang. Die Knappen versorgen die Pferde,
sammeln Brennholz. Im Wald befindet sich ein kleiner Quell, den sie für
Trinkwasser und eine erfrischende, grobe Wäsche nutzen. Es werden Feuer
entzündet und die Essvorräte herausgeholt. Die Stimmung ist heiter bei der
Aussicht auf Speis und Trank und jedermann ist froh, die Strapazen des Tages
hinter sich zu haben. Man sitzt vergnügt beieinander, schmaust Dörrfleisch,
Räucherwurst und Speck, gar etwas geräucherten Schinken, zu altbackenem Brot
und Zwiebeln. Das letzte Ale wird getrunken und verleitet zu derben Liedern.
Seit der kurzen Rast am Mittag
hat Joan ihre Fluchtgedanken weit von sich geschoben. Insbesondere ihr Alptraum
bewog sie zu dieser Entscheidung. Überdies wäre es nur schwer zu bewerkstelligen,
sich mit ihrem Rappen unbemerkt vom Trupp zu entfernen oder gar auf sich allein
gestellt heil nach Hause zu gelangen. Wenn es Gottes Wille ist, dass sie Malcom
in die Schlacht gegen die Schotten begleitet, dann soll es so sein.
Schweigend und träge fläzt sie
mit Phil in der Abenddämmerung im Gras der Lichtung, während sie an einer süßen
Kleeblüte saugt. Brix entfernt sich auf der Suche nach saftigen Halmen immer
weiter von der Herde, was Joan genervt stöhnen lässt. Denn sie hat nicht den mindesten
Elan, ihm hinterher zu gehen. Ihr fällt der langgezogene Pfiff wieder ein, mit
dem Malcom ihn bei ihrer ersten Begegnung gestoppt hatte. Nachdem sie sich
vergewissert hat, dass Malcom weit genug entfernt ist, um es mitzubekommen,
spitzt sie die Lippen und stößt einen
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