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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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ergreifen, doch diese schlägt sie
weg. Dann vernehmen sie nur noch ihr ermattetes Stöhnen. Joan kommt neben sie und
legt die Hände auf ihren Bauch. Sie tastet die Wölbung ab, wobei sie etwas
Rundes Hartes spürt, das sich über Miriams Nabel befindet.
    Joan atmet
durch. „Ich glaube, es kommt mit dem Steiß voran.“
    „Miriam, du
musst pressen“, ruft Joan und vernimmt deren Stöhnen. Miriam ist völlig
entkräftet. „Wenn du jetzt nicht presst, wird es sterben!“
    Miriam schluchzt und reißt sich
zusammen. Sie presst aus Leibeskräften, ein erstickter Schrei entringt sich
ihrer Kehle. Joan spürt das kleine Gesäß, greift zu und zieht behutsam daran.
Sie tastet die Füße der angewinkelten Beinchen und zieht sie vorsichtig heraus.
Es ist ein Mädchen. „Die Beine sind draußen“, ruft sie Miriam zu. „Nun presse
ein letztes Mal“, fordert sie, wobei sie betet, dass der Winzling die Arme
nicht oben hat.
    Miriam begleitet die nächste
Wehe mit einem gepressten Schrei und das Kind gleitet aus ihr heraus. Joan
empfängt es mit sicherem Griff. Es ist kleiner als das Erste, seine Haut blau
verfärbt und wie zerknittert. Die Kleine beginnt, mit hoher, feiner Stimme zu
schreien.
    Miriam weint vor Erleichterung
und Glück, als Joan ihr die Kleine auf den Bauch legt. Die Nachgeburt gleitet
aus ihr, das Bettzeug erinnert an eine blutige Schlacht.
    Miriam schläft vor Erschöpfung
ein. Sie waschen sie, klemmen ihr weiche Stofflagen zwischen die Beine,
wechseln das Bettzeug und kleiden sie frisch ein. Sie bemerkt nichts davon.
Blanche packt die besudelten Sachen und verschwindet damit durch die Tür.
    Joan stellt beunruhigt fest,
dass Miriam noch immer stark blutet und wechselt die Stofflagen gegen frische
aus. Dann legt sie ihr die in warme Tücher eingewickelten Säuglinge an beide
Brüste, damit sie daran saugen können und sich die Geburtswege zusammenziehen.
Der Knabe beginnt sofort, an der Brustwarze zu nuckeln, das Mädchen hingegen
scheint noch zu geschwächt von der Geburt. Es schläft ein. Joan legt es aufs
Bett und konzentriert sich auf den Kleinen.
    „Ich lass Amál herein“, bemerkt
Awin.
    Joan blickt zu ihr auf. „Warte
kurz.“ Sie hebt die Bettdecke an und flucht leise, als sie die Blutlache
zwischen Miriams Beinen gewahrt.
    Awin bemerkt ihre Unruhe und
kommt besorgt neben sie. Als sie die Unmenge an Blut sieht, erstarrt sie.
    Joan wechselt erneut die
Stofflagen. Tränen schießen ihr in die Augen. „Lieber Gott, bitte lass ihre
Blutungen aufhören!“
    „Ich hole Amál“, beharrt Awin
mit brüchiger Stimme und kehrt Joan schnell den Rücken zu. Als sie zur Tür
geht, streicht sie sich mit beiden Händen hastig übers Gesicht.
    Joan richtet ihr Augenmerk
zurück auf Miriam. Sie wird ganz ruhig, ihr Blick starr und die Pupillen weiten
sich. Mit einem erstickten Aufschrei bemerkt sie verzagt, dass Miriams
Lebensfarben schwächer werden. Das Leben scheint mit ihrem Blut aus ihr zu
fließen. Verzweifelt rüttelt sie an ihr. „Miriam, du musst kämpfen!“
    Doch Miriam erwacht nicht. Der
Knabe an ihrer Brust beginnt zu weinen. Amál ist plötzlich neben Joan.
    „Was ist mit ihr“, fragt er sie
beunruhigt.
    Sie blickt zu ihm auf, erkennt
seinen tränenverschleierten Umriss und wischt sich über die Augen. „Sie hat
gekämpft wie eine Löwin, Amál.“
    Er betrachtet die beiden Kinder
auf dem Bett und fährt sich aufgewühlt über die kurzen Haare. „Was ist ihr,
Joan? Weshalb schläft sie?“
    Joan schüttelt den Kopf.
„Manchmal hören die Blutungen einfach nicht auf, Amál. Sie ist innerlich
unheilbar verletzt.“
    Er starrt sie ungläubig an.
„Was willst du damit sagen!“
    Sie senkt den Blick und vermag
nicht, ihm in die Augen zu sehen.
    „Nein“, ruft Amál. „Das ist
nicht wahr“, raunt er und sinkt vor dem Bett auf die Knie. Er nimmt Miriams
Hand und kann den Blick nicht von ihr abwenden. „Das ist nicht wahr!“
    Joan betrachtet ihn verstohlen.
Er dauert sie aus tiefstem Herzen. Tröstend legt sie ihm eine Hand auf die
Schulter und erhebt sich schweigend vom Bett.
    „Nein. Geh bitte nicht“, flüstert
er kläglich. „Bitte bleib.“ Flehentlich sieht er zu ihr empor.
    Joan atmet durch und nickt.
    Amál wendet sich wieder Miriam
vor sich zu, führt ihre bleiche, kühle Hand an seine Lippen.
    Joan setzt sich tieftraurig
zurück aufs Bett. Sie nimmt den weinenden Kleinen an sich und bedeckt die bloße
Brust seiner Mutter mit deren Kleid. Die Bettdecke über Miriams Schritt

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