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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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empfinde
heute wie für einen Bruder für ihn.“
    „Das war einmal anders, wie ich
deinen Worten entnehme“, schlussfolgert Awin, worauf Joan nickt.
    „Es war vor einer scheinbaren
Ewigkeit. Doch ich wählte Malcom.“
    Awin nickt nachdenklich und
legt vertraulich eine Hand auf Joans Arm. „Bitte unternimm noch einen Versuch,
ihm wegen der Kinder ins Gewissen zu reden. Er scheint dir zu vertrauen.“
    Joan sinnt schweigend darüber
nach. Dann schüttelt sie den Kopf. „Ich versuchte es bereits. Wie Malcom. Wir
sollten ihn vorerst damit verschonen. Er ist überfordert. ... Lass ihm Zeit, um
Abschied zu nehmen.“
    Awin setzt sich betrübt auf
einen nahen Schemel. Schließlich zuckt sie ohnmächtig die Schultern und nickt
zustimmend. „Ja, du hast womöglich recht.“ Sie lehnt sich gegen die Wand und
starrt versonnen ins Leere. Der Kummer steht ihr ins Gesicht geschrieben. „Nur
fürchte ich, dass, je mehr Zeit verstreicht, ihm eine Annäherung an seine Kinder
zusehends schwerer fällt.“ Von einem Seufzen begleitet fährt sie sich übers
Gesicht. „Ich weiß, wie es ist, wenn ein Vater sein Kind ablehnt.“
    Ihre Blicke treffen sich. Joan
weiß, dass sie auf Robert und Amál anspielt.
    Awin atmet durch. „Obwohl ich
seinen Vater liebte und sonst vermutlich nie mit einem Kind beschenkt worden
wäre, bereute ich diese unheilvolle Verbindung. Es entzweite Timothy und mich
um ein Haar, wenn seine Liebe nicht derart unerschütterlich gewesen wäre. Ich
verstand zu spät, was ich ihm damit antat, dass nichts mehr so war, wie zuvor.
Ich habe es mir nie verziehen“, flüstert sie, während sie Joan mit einem Male
durchdringend betrachtet. Sie legt ihr eine Hand auf den Arm. „Halte dein Glück
mit Malcom fest, Joan. ... Ihr liebt euch. Du bist blutjung. Einer Frau deines
Aussehens werden noch viele Männer den Hof machen.“ Sie nimmt die Hand zurück.
„Es ist nur ein kurzes Vergnügen, wenn man hernach den Schmerz in den Augen des
geliebten Mannes erblickt.“
    Joan nickt. Offenbar ist Awin
nicht entgangen, dass sich ein zartes Band zwischen ihr und Ulman zu knüpfen
begann. „Ich danke dir für deine Offenheit. Und ich weiß, wovon du sprichst.“
    Awin nickt lächelnd. „Es ist
oft einfacher, als es einem erscheinen mag. Ich habe gelernt, dass die Liebe empfindlich
wie eine zarte Pflanze ist, die gehegt werden muss, um zum Dank schöne Blüten
zu zeigen. Sobald man ihr die Zuwendung entzieht, verwelkt sie, mitunter
unwiederbringlich. Nur mit viel Geduld und Glück setzt sie vielleicht neue
Triebe an. ... Ich habe erfahren, dass man sich immer wieder aufs Neue an den
wundervollen Blüten derselben Pflanze erfreuen kann. Sie sind nie gleich,
halten stets eine Überraschung bereit, so man willens ist, diese zu entdecken.“
    Joan nickt und lächelt
versonnen über das schöne Gleichnis. Eine Weile herrscht einträchtiges
Schweigen zwischen ihnen. Sie hätte sich nicht träumen lassen, einmal solch
persönliche Gespräche mit Awin zu führen.
    „Timothy hat Amál einfach
angenommen?“
    Awin nickt lächelnd. „Der
Kleine wich nicht von seiner Seite, verehrte ihn abgöttisch.“ Sie lacht.
„Timothy verfiel ihm hoffnungslos. Sie haben beide einen Narren aneinander
gefressen. Noch heute.“ Awin seufzt bei diesen glücklichen Erinnerungen. „Es
war eine glückliche Schicksalsfügung. Und es machte die Wende in unserer Ehe
aus. Wir fanden wieder zueinander. Unsere erkaltete Liebe glomm erneut auf.“
    „Er hat es dir verziehen“,
stellt Joan fest.
    „Ja. Ich würde dieses Glück
niemals wieder aufs Spiel setzen, um körperliches Verlangen nach einem anderen
zu stillen.“
    Joan atmet durch. Sie kann
Awins Worte nur zu gut nachempfinden. Doch zweifelt sie insgeheim ernsthaft an
der eigenen Standhaftigkeit. Sie kann nur hoffen, dass ihr Wille weiterhin
stark bleibt. Denn Entbehrung zählt nicht zu ihren Tugenden. Insbesondere dann
nicht, wenn sie bereits vom süßen Honigtopf genascht hat. Und was sie mit Ulman
darüberhinaus verbindet, geht tiefer, als sie auszudrücken vermag.

Momente der
Schwäche
    Es ist der
Tag, an dem sie Miriam in der Krypta der schönen Kapelle am entlegenen Ufer
beigesetzt haben. Diese dient den Dowells bereits seit vielen Generationen als
Grablege. Man stiftete Miriam nach herkömmlicher Sitte eine wundervoll
gearbeitete steinerne Grabstele mit dem wie lebendig wirkenden Relief ihres
Körpers, welche den steinernen Sarkophag abdeckt. Das Antlitz ihres Gemahls und
jene der beiden

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