Die rote Farbe des Schnees
würdest, dann fiele auch dir
auf, wie ähnlich sie Miriam sehen.“
Er schweigt betroffen.
Das Talglicht flackert noch
einmal kurz auf, bevor es erlischt. Es ist einfach zu verlockend metaphorisch.
„Wie würdest du handeln, wenn du wüsstest, dass du nicht mehr lange zu leben
hättest?“
Er richtet sich hoch und lehnt
sich gegen das Bettgestell. „Schon gut, ich habe verstanden, Joan.“
Sie wagt es kaum zu hoffen.
„Wirklich?“
Er brummt etwas in sich hinein.
Dann spürt sie, wie er wieder ihre Hand ergreift und sie darauf küsst. Sie
streicht ihm übers Gesicht und hört, wie er die Luft schmerzhaft einzieht.
„Soll ich nachher deine Prellungen behandeln?“
Er seufzt. „Der Bader hat
bereits Hand angelegt.“
„Ja dann“, kontert sie mit
gespielter Gleichgültigkeit. „Dann bleibt ja nur, zu hoffen.“
Er atmet vernehmlich durch.
„Also gut. Ich wäre dir dankbar“, gibt er klein bei.
Es ist Joan recht. Denn ein
übersehener Bruch könnte unangenehme Folgen haben. „Hat dich diese Hure so
vermöbelt“, kann sie sich nicht verkneifen, ihn zu fragen und vernimmt mit
steigender Belustigung sein Stöhnen.
„Erwähne sie nicht. Wenn es
meine Männer erfahren, verliere ich das Gesicht vor ihnen.“
„Sie glauben, du hättest sie
grün und blau geschlagen.“
Er lacht auf. „Das habe ich
ihnen verkauft. Selbst wenn ich es gewollt hätte, ich war viel zu besoffen. ...
Versuche nie, eine Hure um ihren Verdienst zu bringen.“
Joan lacht verhalten. „Ich
werde es beherzigen.“
Sie schweigen gedankenvoll.
„Kann ich dich allein lassen?“
„Hm.“
Sie erhebt sich. „Versprich
mir, nachher nicht mehr den trübsinnigen Amál anzutreffen.“
„Ich werde tun, was ich kann“,
knurrt er.
Sie atmet
erleichtert auf. Es ist ein vielversprechender Anfang. Freudig drückt sie ihm
einen Kuss auf die Stirn und macht kehrt. Auf leisen Sohlen schleicht sie durch
die Tür und lässt ihn allein mit sich und seinen Gedanken. Im Grau der
Morgendämmerung erkennt sie die benachbarte Tür zu Ulmans Gemach. Wohl oder
übel muss sie ihren Besuch bei ihm aufschieben.
Joan hatte
noch vor dem Morgenmahl einen von Amáls Männern losgeschickt, um spezielle
Heilpflanzen vom Kräuterkaufmann zu besorgen. Er war schnell wieder zurück, da
sich ganz in der Nähe ein ehedem fliegender Gewürzhändler niedergelassen hat.
Joan nimmt sich vor, diesem bei Gelegenheit in seiner Officin einen Besuch
abzustatten.
Bevor sie Amál versorgt, will
sie jedoch mit den anderen frühstücken. Nicht unbedingt, um ihren ohnehin
geringen Appetit zu stillen, sondern eher zur Schmälerung ihrer hartnäckigen,
sich allmorgendlich einstellenden Übelkeit, welche sie schon seit längerem
plagt. Diese ist eine ganz neue Erfahrung. Als sie Robert unterm Herzen trug,
blieb sie davon verschont. Insgeheim hofft sie, dieses Mal ein Mädchen zu
entbinden.
Als sie den Raum neben der
Küche betritt, den man scherzhaft KLEINE HALLE getauft hat, ist sie wie immer
zu spät. Die Männer haben sich bereits an der aus etlichen Tischen
zusammengeschusterten Tafel versammelt und verzehren gut gelaunt ihr üppiges
Frühstück. Joan setzt sich neben Malcom und kämpft gegen ein Würgen an, als sie
den Duft von gebratenem Fisch vernimmt. Die Mägde wollten offenbar ihren
gestrigen Schnitzer wieder gut machen. Eilig greift sie zu einer Scheibe weißen
Brotes und beginnt, sie mit einem Becher Wasser trocken zu verzehren.
„Trocken Brot und Wasser?“
Sie begegnet Amáls belustigter
Miene und grinst zur Antwort.
Er schnalzt daraufhin mit der
Zunge. „Kommt mir irgendwie bekannt vor“, bemerkt er noch. Dann scheint ihn der
schmerzhafte Gedanke an Miriam wieder zu überwältigen. Er atmet mit traurigem Gesicht
tief durch.
Malcom ist seine Bemerkung
nicht entgangen. Er betrachtet sie lächelnd und neigt den Kopf an ihr Ohr. „Ist
das wahr?“
Sie nickt. „Ich wollte noch
abwarten, es dir zu sagen. Doch scheinbar hat es sich beharrlich vorgenommen,
zu bleiben und mir das Leben schwer zu machen.“
Er küsst sie glücklich. „Wann
rechnest du mit der Niederkunft?“
Sie zuckt die Schultern. „So
Gott will um Mariä Himmelfahrt.“
Malcom nickt bedächtig. „Ich
hoffe, du bekommst es in seinem neuen zu Hause“, bemerkt er.
Doch sie schüttelt den Kopf.
„Ich hoffe, in IHREM.“
Ein verschmitztes Lächeln
umspielt seinen Mund. „Das ist mir gleich.“
Ulman erscheint plötzlich, um
sich ihnen gegenüber stöhnend am Tisch niederzulassen.
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