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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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prächtigen Roben
schreiten würdevoll einher, zwängen sich an Menschen der unterschiedlichsten
Standesklassen vorbei ins Gebäude hinein oder aus diesem heraus. Auf dem großen
Platz davor bieten einige emsige Trödler Getränke und allerlei Leckerbissen
feil.
    Sie sitzen ab und machen die
Pferde an dafür vorgesehenen Querbalken fest. Joan gibt einem armen,
abgerissenen Bettler, der sich zu Ulmans Argwohn nah an sie heran drängte, aus
Mitgefühl und Christenpflicht einen Almosen. Der einbeinige Alte dankt es ihr
mit einem Gebet, das er für sie spricht, und humpelt zum Nächsten. Joan reckt
sich genüsslich und will sich gerade zu den anderen umwenden, als sie plötzlich
von Ulman beinahe umgestoßen wird. Er umarmt sie, zieht sie fest an sich. Ein
fürchterlicher Schmerz in ihrer linken Brust lässt sie entsetzt aufschreien und
raubt ihr den Atem. „Ulman“, keucht sie ungläubig und versucht, sich an ihm
festzuhalten, um nicht einfach in die Knie zu gehen. Kaum wagt sie, einen klaren
Gedanken zu fassen. Er verbirgt das Gesicht an ihrem Hals. „Ich werde dich
immer lieben, Joan“, raunt er. „Immer und ewig.“
    Verwirrt vernimmt sie sein
Stöhnen, versucht angestrengt, sich von ihm loszumachen, um ihm ins Gesicht
sehen zu können. Jede Bewegung facht den schrecklichen Schmerz in ihrer Brust
nur weiterhin an. Sie scheint an Ulman zu haften und schreit schmerzgeplagt,
als er an ihr langsam herabzugleiten beginnt. Malcom ist plötzlich bei ihnen
und fängt seinen Bruder auf.
    „Ulman“, raunt er entsetzt,
wobei er auf die Knie geht, um seinen Oberkörper auf die Beine zu nehmen.
Ulmans Gesicht ist schmerzverzerrt, seine Tunika färbt sich im rechten
Brustbereich zusehends rot. Ein dunkler Metallbolzen ragt ihm dort aus dem
Körper.
    „Jagt diesen verdammten
Halunken“, ruft Malcom plötzlich, so dass Joan zusammenzuckt. „Fünf Mann! Und
wagt euch nicht ohne ihn zurück!“
    Joan ist wie gelähmt, hört wie
aus weiter Ferne das metallene Schleifen von Schwertern, die aus ihren Scheiden
gezogen werden und vereinzeltes Hufgetrappel. Sie sinkt vor Ulman auf die Knie,
spürt, wie Malcom prüfend eine schmerzende Stelle auf ihrer Brust berührt.
Daraufhin wendet er sich wieder seinem schwer verletzten Bruder zu.
    „Ulman“, ruft er verzweifelt.
„Tu mir das nicht an. Wieviel Schuld soll noch auf meinen Schultern lasten?“
    Ulman schüttelt den Kopf und
lächelt mit einem Male. „Auf meinen lastet weitaus mehr.“ Er stöhnt. „Schafft
diesen verdammten Richter herbei! Ich will aussagen.“
    Malcom atmet bewegt durch und
nickt. „John, hol ihn her. Und laufe so schnell, wie du kannst.”
    Joan blickt zu John auf, der
ihnen soeben den Rücken zukehrt und aus dem Kreis der Männer, der sich
schützend um sie gebildet hat, hastet. Sie vermag Ulmans zerbrechlichen Anblick
nicht zu ertragen, kämpft verbissen die aufkommenden Tränen herunter.
    „Der Moment ist gekommen, dir
etwas zu beichten“, presst Ulman keuchend zwischen zusammengebissenen Zähnen
hervor und nimmt einige schwere Atemzüge. Malcom packt seine Hand, welche
daraufhin von Ulman kraftvoll gedrückt wird. Er stöhnt. „Es geschah an Ostern
vor etwa acht Jahren. ... Ich hatte mich überwunden, wollte mich mit unserer
Sippe versöhnen und kam nach Farwick Castle.“ Er gönnt sich eine Pause. Sein
Oberkörper ist mittlerweile blutüberströmt. „Es kostete mich die gesamte Dauer
meines jungen Lebens, bevor ich diesen Schritt wagte.“
    Malcom starrt ihn reglos an.
„Was ist geschehen“, fragt er gefasst.
    Ulman schließt kurz die Augen
und schnieft verächtlich. „Was ich hätte erwarten sollen! ... Die ersten, denen
ich im Hof begegnete, waren dummerweise deine beiden Brüder. ... Sie wollten
wissen, wer ich sei und was mein Begehr wäre. Als ich mich zu erkennen gab,
ließen sie mich nicht weiter zu Wort kommen. Sie zerrten mich vom Pferd und
hielten meinen Kopf über die Wehrmauer. Ob ich meiner verhurten Mutter
nachfolgen wolle, fragten sie.“
    Joan stockt der Atem.
    Malcom fährt sich bestürzt über
die Stirn. „Sie dachten vermutlich, du wolltest Ansprüche geltend machen.“
    Ulman lacht rau. „Sie kamen
nicht mehr dazu, sich zu erklären. ... Ich sah plötzlich rot. ... Sie hatten
nicht die geringste Chance“, erwähnt er nicht ohne die Spur einer gewissen
Befriedigung.
    Sie schweigen beklommen.
    „Man könnte es mit Notwehr
verteidigen“, murmelt Malcom, um dann gequält zu stöhnen. „Doch du kannst
schwerlich die

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