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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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Müller
nicht das Fischrecht in der Thorn, wäre er wohl längst verhungert.
    „Was ist mit deinen beiden
Schwestern“, fragt ihn Joan. „Wieso kamst du nicht bei ihnen unter?“
    „Sie hungern“, erklärt er
wortkarg, um ein großes Stück aus einer Entenkeule herauszubeißen. „Sie haben
nicht einmal mehr Getreide für die Saat“, bemerkt er mit vollem Mund.
    Blanche wechselt mit Raymond
vielsagende Blicke und seufzt. „Welche Kreise zieht das? Geht es allen Bauern
so?“ Erneut mustert sie ihn verstohlen, noch immer fassungslos über die
frappierende Ähnlichkeit mit Raymond.
    Er zuckt die Schultern.
„Annähernd. Im vergangenen Winter verhungerten viele. Vor allem die Kinder und
Alten waren betroffen. ... Es war das reinste Säuglingssterben.“
    Malcom wiegt den Kopf. „Ihr
solltet erwägen, die Getreidespeicher zu öffnen. Es müsste genug da sein,
soweit ich informiert bin.“
    John nickt bestätigend.
    „Wo lassen sie ihr Korn mahlen?
Beim alten Ellingsby“, fragt Raymond.
    Jacob hat gerade den Mund voll und
nuschelt unverständliches Zeug.
    „Ronald ist seit vier Jahren
tot, Vater“, springt ihm Joan hilfreich bei.
    Jacob hat den immensen Bissen
hörbar heruntergewürgt. „Sie lassen trotzdem in seiner Mühle mahlen“, erklärt
er. „Sie haben ja keine andere Wahl.“
    „Und wer streicht die Gelder
ein, die sie dafür entrichten müssen?“
    Jacob lacht ihm spöttisch ins
Gesicht. „Niemand. Seitdem die beiden Lehen nahezu verwaist sind, geht es den
Bauern verhältnismäßig gut. Keine Frondienste auf den herrschaftlichen Äckern
...“
    „Genug“, unterbricht ihn
Raymond verärgert. Er streicht sich nachdenklich über die Stirn. „Meine erste
Handlung wird sein, die Mühle wieder aufbauen zu lassen.“ Er visiert Jacob an.
„Nenne mir die Namen der Brandstifter. Sie erwartet die ihnen gebührende
Strafe.“
    Jacob hat im Kauen
innegehalten, um es dann bedächtig fortzusetzen. Abwägend betrachtet er seinen
Vater mit angespannter Wachsamkeit und schluckt. „Die meisten sind verhungert.“
    „Dann die, welche noch leben“,
fordert Raymond ungeduldig.
    Doch Jacob schüttelt plötzlich
den Kopf. „Ich will nicht, dass sie aufs Rad geflochten werden. Das Sterben
soll ein Ende nehmen.“
    Ray muss an sich halten. „Sie
haben dich deiner Lebensgrundlage beraubt“, setzt er an, unterbricht sich
jedoch beim Anblick von Jacobs abwehrend erhobenen Händen.
    „Sie haben ihre Strafe
bekommen, wie Ihr leicht selbst feststellen könnt, wenn Ihr Thornsby in
Augenschein nehmt.“
    Sie schweigen. Im Hintergrund
ist das ungeduldige Wiehern der Pferde zu vernehmen. Die Männer rüsten zum
Aufbruch. Jacob nagt den letzten Knochen ab und leckt sich die fettigen Hände.
„Ich danke Euch für dieses ... Festmahl“, bemerkt er mit bissigem Unterton und
erhebt sich.
    „Was hast du vor“, fragt
Raymond erstaunt, worauf Jacob gleichmütig die Schultern zuckt.
    „Mich nach einem trockenen
Nachtlager umsehen. Der Himmel verheißt Regen. ... Bis die Mühle wieder steht,
bin ich ohne Obdach.“
    Raymond runzelt die Stirn.
„Glaubst du, ich lasse dich wie einen Bettler weiterleben oder alsbald wieder
der unehrenhaften Tätigkeit eines Müllers nachgehen?“
    Jacob scheint überrascht. Dann
stemmt er verächtlich die Hände in die Seiten. „Glaubst du, ich nehme deine
herrschaftlichen Almosen an?“ Er schüttelt geringschätzig den Kopf. „Nicht ums
Verrecken!“
    „Nun, du irrst schon wieder,
wenn du glaubst, ich wollte dir etwas schenken“, erwidert Raymond
unbeeindruckt. „Du sollst dich für deine Verköstigung nützlich machen.“ Er
erhebt sich nun ebenfalls und mustert ihn auf gleicher Augenhöhe. „Von deinem
wenig Ehrfurcht bezeugenden, losen Mundwerk mal abgesehen, scheinst du ein
cleverer Bursche zu sein. ... Du solltest dich mit Kerbhölzern auskennen.“
    Jacob hebt fragend eine Braue
und wirft Joan ratlose Blicke zu. „Ja“, erwidert er zögernd, als sie ihm
aufmunternd zunickt.
    „Na bestens“, frohlockt
Raymond. „Ich stelle dich als meinen neuen Steward ein, vorausgesetzt, du bist
nicht abgeneigt.“
    Sie tauschen vergnügte Blicke
ob Jacobs verdatterter Miene.
    „Ja, ... äh nein“, stammelt
dieser verwirrt, um schließlich hörbar durchzuatmen. „Ich weiß nicht“, zweifelt
er verunsichert.
    „Bedenke, was du bewegen
könntest“, raunt Joan neben ihm unter vorgehaltener Hand, woraufhin er
versonnen nickt. Ein Lächeln erhellt sein Gesicht und er blickt Raymond

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