Die rote Halle
seine Mutter wäre, die neben ihm
ging, und nicht DeeDee. Ihre Stimme war sanft, als sie fortfuhr.
»Jeder kleine Junge will am liebsten ein Mann sein. Am liebsten
sofort. Aber bei den meisten dauert das ein paar Jahre, dann merkt man den
Abschied nicht so. Aber du, du musst jetzt von einem Tag auf den anderen erwachsen
sein, und das ist schwer.«
Was sie sagte, klang klug und richtig und traurig. DeeDee lachte ein
wenig, bevor sie weitersprach.
»Aber jeder Junge muss irgendwann einmal unartig sein, wenn er ein
Mann werden will.«
Simon nickte, obwohl er sich nicht sicher war, was sie meinte.
»Wenn Erwachsene glauben, dass ein junger Mann wie du keinen Sex haben
dürfte, dann ist das deshalb, weil sie sich darüber ärgern, dass du nicht
gehorchst, und weil sie dich zugleich um deinen Ungehorsam beneiden. Und dann
kommt eine Art Doppelmoral dazu. Wenn sie ehrlich wären, dann fänden sie so
einen jungen Kerl wie dich nämlich selbst ganz attraktiv.«
Erneut blieb Simon stehen.
»Wovon redest du eigentlich?«
DeeDee ging ein paar Schritte in einen Weg hinein, der zwischen
Tennisplätzen und Flachbauten hindurch ins Grüne führte, und blickte sich
amüsiert nach ihm um.
»Von dem, was zwischen uns passiert ist, natürlich. Ich wollte dir
nur sagen â auch wenn es verboten ist, was wir tun. Dass wir uns lieben. Das
heiÃt nicht, dass es falsch ist.« Sie lächelte. »Du musst dich deswegen nicht
so schlecht fühlen.«
Simon schüttelte den Kopf. »Glaubst du etwa, es ist deswegen?«
»Komm, da vorne gibt es einen kleinen Teich. Setzen wir uns da hin.
Und wenn du mir dann alles erzählt hast, dann sage ich dir, was ich glaube und
was nicht.«
Ein paar Minuten später stieà DeeDee ein quietschendes Eisentor auf,
hinter dem ein Plattenweg zwischen hohen Hecken hindurch zu einer Treppe
führte. Unten lag in der Sonne glitzernd ein fast kreisrunder Teich. Mitten in
der Stadt und gut versteckt, eine kleine, grüne Oase, die sicher nur wenige
kannten.
»Komm schon«, sagte DeeDee und streckte die Hand nach ihm aus. »Hilf
einer alten, weisen Frau die Treppe runter.«
Sie gingen halb um den Teich herum, wo eine Wiese in der Sonne lag,
und DeeDee setzte sich auf einen groÃen Stein. Simon stand unschlüssig herum.
»Los, hinsetzen!«, befahl DeeDee und klopfte neben sich auf den
Stein.
Simon setzte sich vor sie ins Gras, lehnte den Rücken gegen den
Stein und atmete tief durch.
»Gut. Und jetzt erzähl.«
Simon riss einen Grashalm ab und wickelte ihn sich um den Finger.
DeeDee schwieg und wartete, er spürte sie hinter sich, unbeweglich, es war
beinahe, als ob sie lauerte.
»Ich konnte nicht aufhören, an Rose zu denken, ich hatte ein ganz
blödes Gefühl, als ob ich es gewusst hätte. Ich hab von Anfang an nicht
gewollt, dass du sie da reinschickst, aber â¦Â«
Simon nahm eine schnelle Bewegung hinter sich wahr, und dann
explodierte Licht in seinem Kopf.
Als er zur Seite ins Gras fiel, waren seine Augen geöffnet. Vor dem
Hintergrund des hellblauen Himmels erkannte er DeeDees Gesicht. Es kam näher,
entfernte sich wieder, und Simon sah zu, wie sie die Hand hob, sah den Stein in
ihrer Hand. Er wollte ausweichen, aber plötzlich beschleunigte sich alles um
ihn herum, der Stein zuckte herab. Das Licht schnurrte zu einem schwarzen Nichts
zusammen.
TAG 13 â TODESTAG
Das Licht in den Krankenhausgängen war grell, und trotz
Kopfschmerztablette fühlte Helge sich, als hätte er einen Kater. Er versuchte,
die Schultern zu lockern und das Pochen hinter seinen Augen zu ignorieren.
Nachdem er ein paar Stunden lang Fragen und Theorien gewälzt hatte, war Helge
um fünf Uhr schlieÃlich aufgestanden, hatte lange geduscht, sich ausgiebig
rasiert, das Frühstück ausgelassen, weil er nichts im Haus hatte, und sich auf
den Weg gemacht. Leider war der Kaffeeautomat im Krankenhaus auÃer Betrieb, und
Helge musste sich mit einer klebrigen Cola begnügen.
Krissie hatte ihm eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen, dass
Rost vernehmungsfähig sei, aber Helge wollte zuerst mit Gunnar Lang sprechen.
Es war gerade erst sieben Uhr, mit etwas Glück würde kein Kollege mitbekommen,
dass er sich in einen Fall einmischte, der nicht seiner war.
Obwohl es auf den ersten Blick keine direkte Verbindung zu geben
schien, war er sich sicher, dass das Verschwinden des einen
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