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Die rote Halle

Die rote Halle

Titel: Die rote Halle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Schmidt
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und Janina hockte auf allen vieren im Schwarz
und lachte. Lachte, bis das Handy erneut ansprang.
    Sie haben zwei neue Nachrichten von
Simon Handy.

TEIL III

TAG 5 – FÜR IMMER
    Simon stolperte die Gepäckrampe hinauf, sprang vom Förderband
und brachte ein paar Meter zwischen sich und das, was er gesehen hatte. Alles
in ihm krampfte sich plötzlich zusammen, und er musste stehen bleiben, er
krümmte sich, und die Laute, die er von sich gab, hallten in der leeren
Schalterhalle geisterhaft zu ihm zurück.
    Es war ein Unfall, er konnte nichts dafür. Er hatte es nicht gewollt.
    Aber was musste man tun, wenn man einen toten Menschen fand?
    Polizei. Doch das würde nichts nützen. Er würde sein ganzes Leben
lang daran denken, dass wegen ihm ein Mensch gestorben war, jede Minute. Er
würde nichts anderes mehr denken können.
    Simon begann, einen Fuß vor den anderen zu setzen, er fühlte sich
wie ein lange nicht mehr benutzter Roboter. Dann wurden die Füße schneller,
schneller, bis er rannte, verfolgt von einem einzigen, immer größer werdenden
Gedanken: Er konnte es nicht rückgängig machen. Niemals. Simon rannte
schneller. Aber man konnte es nicht rückgängig machen. Es würde nie wieder ungeschehen
sein. Für immer und immer und immer und immer.
    Simon schloss die Augen, rannte weiter. Die Frauenbeine in den
dünnen Strümpfen. Keine Schuhe. Das Kleid unterm Arm zerrissen, das Blut im
Haar. Der Hals, zu weit gebeugt, nach hinten und links. Augen im Kopf wie
Glasmurmeln, weit aufgerissen.
    Es waren die Augen. Wegen der Augen hatte er begriffen, dass sie tot
war. Er wollte, dass die Augen zu waren. Dann hätte er vielleicht denken
können, dass sie schlief, hätte vielleicht so tun können. Er hätte ihr die
Augen schließen müssen.
    Während Simon den scheinbar endlos gekrümmten Transitgang
entlangrannte, nach Luft rang, um sich schlug, packten die Sätze immer wieder
zu. Sie ist tot. Für immer. Ich habe es nicht verhindert. Sie ist tot. Und wird
es bleiben. Ich bin schuld.
    Schreiend stieß Simon eine Glastür auf, rannte einen Quergang
entlang, prallte gegen eine andere, verschlossene Tür, wandte sich um, rannte
zurück, fand eine andere Tür, weiter, aufwärts, Treppen, Krümmung, Gänge,
Treppen. Bis er da war, mit zitternden Knien stehen blieb, sich an der Wand
abstützte.
    Â»Mam«, brachte er mühsam hervor. Er stand direkt vor ihrer
Zimmertür, musste nur die Hand ausstrecken, musste nur hineingehen und … Falls
sie überhaupt hier war. Vielleicht sollte er lieber in der Kostümabteilung
nachsehen. Oder auf der Bühne. Oder doch hier. Etwas ließ ihn zögern.
    Er würde es ihr nicht erklären können. Es gab nichts zu erklären. Er
hatte es nicht verhindert. Das war alles.
    In gewisser Weise hatte er ab jetzt keine Mutter mehr. Er war
allein, und das tat überall weh, im Magen, in der Brust, im Kopf. Simon schlug
mit der Faust gegen die Wand. Für immer und immer und immer und immer. Dann
ließ er die Hände sinken.
    Er musste hier weg, bevor seine Mutter ihn vielleicht heulen hörte
und herauskam und ihn fand. Er musste zur Polizei gehen. Jetzt. Das war schon
in Ordnung, sein Leben war ja ohnehin in dem Moment zu Ende gegangen, als er
dort unten Roses Augen gesehen hatte. Gleich würde er losgehen. Jeden Moment.
    Â»Hey, Schätzchen. Alles in Ordnung?«
    DeeDees Gesicht war über ihm, weit oben und weiß wie Schnee. Erst
jetzt merkte Simon, dass er nicht auf dem Weg zur Polizei war. Dass er auch
nicht mehr vor der Zimmertür seiner Mutter stand. Brandsicherer Teppich pikte
ihm in die Wange, und Tränen liefen ihm über den Nasenrücken von einem Auge ins
andere. Seine Kehle war verkrampft, und er schluckte hart.
    DeeDee musste das verletzte Bein vor sich ausstrecken, als sie sich
neben ihn hockte und prüfend seine Stirn berührte.
    Â»Deine Mutter hat sich schon Sorgen gemacht, sie sucht überall nach
dir. Du bist ja ganz aufgelöst.« Vorsichtig strich sie ihm das Haar aus der
Stirn.
    Obwohl die Berührung ihrer Hand ihn erschauern ließ, wehrte Simon
sie nicht ab. Das war die Hand einer Mörderin, die ihn streichelte. Aber es
machte keinen Unterschied, was er tat oder ließ oder zuließ. Nichts würde etwas
ändern.
    Â»Rose ist tot«, sagte er.
    Simon schloss die Augen, wartete. Vielleicht auf Entsetzen

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